Der Weg ist das Ziel

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sendorra Avatar

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Luci Hull lebt im kleinen Städtchen Hannibal und führt ein beschauliches Leben als Bibliothekarin der Stadtbibliothek. Verantwortlich für die Kinderbuchabteilung versucht die bibliophile 26-Jährige Bilderbücher vor Buntstiften zu beschützen, Schulkinder in der freitäglichen Vorlesestunde für Literatur zu begeistern und immer das passende Buch für ihren Lieblingskunden Ian griffbereit zu haben.

Die strengreligiöse Mutter des 10-Jährigen begrenzt die Auswahl seiner Lektüre auf wenige sehr harmlose oder christliche Werke. Der unstillbare Lesehunger des Jungen und seine Wissbegier geben sich damit jedoch nicht zufrieden. Luci versucht ihm so gut wie möglich heimlich zu helfen und verschafft ihm Zugang zu "verbotenen" Büchern.

In der Annahme seiner Eltern, Ian hätte homosexuelle Tendenzen, nimmt das sensible Kind an einer Art Umerziehungsunterricht des berüchtigten Pastor Bobs teil. Geschlechtsgerechte Beschäftigungen sollen ihn auf den Pfad der Tugend bringen. Doch Ian wirkt auf Luci immer unausgeglichener.

Als sie eines Morgens die Bibliothek öffnet, entdeckt sie den ausgerissenen Jungen wie er zwischen den Regalen campiert. Luci will ihn zu seinen Eltern fahren, doch auf der Fahrt nach Hause überzeugt sie der Junge davon, dass es besser wäre weiter zu fahren. Und weiter. Und weiter. Es beginnt eine Roadstory der etwas anderen Art.

=== Meine Kritik ===

Meine Erwartungen an dieses Buch waren groß. Meine Enttäuschung auch. War ich anfangs noch Komplizin der sympathischen Luci mit ihren zerrissenen russischen Wurzeln (väterlicherseits) und ihrem wachen, sarkastischen Blick auf die amerikanische Gesellschaft, entfernte ich mich im Laufe der Geschichte immer mehr von der Entführerin wider Willen.

Wie sie so durch die Handlung schwamm, ohne Ziel und Verstand, machte mich wahnsinnig. Der Weg mag ja das Ziel sein, aber Luci dabei zu begleiten, wie sie auf ihrer Fahrt mit Schicksal, Familiengeschichte(n), Vergangenheit und Zukunft hadert, machte mir auf Dauer einfach keinen Spaß. Zu wenig von ihren Gedanken und Handlungen konnte ich nachvollziehen; immer mehr entfremdete ich mich von der Frau, der ich mich anfangs sehr verbunden fühlte.

Überhaupt passiert 367 Seiten nicht viel. Luci und Ian reisen mit Stopps bei Lucis Eltern und Freunden der Familie durch Amerika. Luci erfährt mehr über die Vergangenheit ihres Vaters, der als junger Mann aus Russland flüchtete, fühlt sich verfolgt von Polizei, Pastor Bob und ihrem schlechten Gewissen. Ian ermutigt sie, immer weiter zu fahren und genießt derweil seine Auszeit von überfürsorglichen, homophoben Eltern.

Makkai schreibt innovativ, spielt mit verschiedenen Stilen, Genres und Kunstgriffen. Zwischen normalem Text finden sich immer wieder experimentelle Passagen, in denen Luci mal nach Kinderbuchart, mal prosaisch, mal ein bestimmtes Buch "zitierend" ihre Situation zusammenfasst. Das ist spannend, erheiternd, charmant. Auch die zahlreichen bibliophilen Anspielungen gefielen mir sehr.

=== Fazit ===

Letztendlich lies mich "Ausgeliehen" aber zwiegespalten zurück. Makkai schreibt mit einer wunderbaren Leichtigkeit und Experimentierfreude. Doch über eine lange Strecke langweilte mich das Geschehen. Die wenig nachvollziehbaren Handlungen und Schlussfolgerungen Lucis verärgerten mich. Nur selten brachten mich die exzentrischen Randfiguren zum Lachen. Freunde von Bildungsromanen, leisen Tönen und selbstzerfleischenden Reflexionen könnten an "Ausgeliehen" aber durchaus ihre Freude finden.