Tragisch

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raganiuke Avatar

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Rebecca Makkai führt den Leser behutsam an die Hauptcharaktere des Romnas heran, an Lucy, junge Bibliothekarin der Kinderbuchabteilung, von der man erfährt, dass sie Rebellion und die Neigung zur Flucht quasi in die Wiege gelegt bekommen hat und an Ian, den zehnjährigen Bücherwurm, der Stammgast in der Bibliothek ist und Lucy wegen seiner Liebe zu Büchern ans Herz gewachsen ist. Ian stammt aus einem zutiefst christlichen Elternhaus und seine Mutter macht sich nicht nur Sorgen darüber, dass die Lektüre ihres Sohnes unchristliche Inhalte wie Hexerei, Evolutionstheorie  oder die Anstiftung zu öffentlicher Unruhe enthalten könnten, sondern scheinbar auch darüber, dass sich die sexuelle Entwicklung ihres Sohnes nicht in geplanten Bahnen entwickeln könnte.

Zunächst liest sich die Geschichte, wie ein Buch über Bücher, die Liebe zu ihnen und wie auch immer geartete Zensur von "ungeeignetem" Lesestoff, bis Lucy den Jungen eines Morgens zwischen Regalen und Büchern in der Bibliothek campierend vorfindet.

Hierauf entwickelt sich ein Roadtrip quer durch die USA, dessen Ziel und Zweck weder Lucy noch dem Leser klar ist. Wie der Klappentext schon fragt: _Doch wer hat hier wen entführt? Und läuft wirklich nur Ian vor seinen Eltern davon?_ habe ich mich im Laufe der Reise gefragt, wer denn hier nun wirklich davonläuft und wovor. Dass sich eine erwachsene Frau von einem Kind derart unter Druck setzen lässt, kommt mir reichlich unlogisch vor, auch wenn Lucy zunächst aus dem rebellischen Bedürfnis heraus handelt, einem ihrer Meinung nach unterdrückten und in seiner Entwicklungsfreiheit deutlich eingeschrängten Kind helfen zu müssen. So versucht sie während der Reise Anhaltspunkte für seelische Misshandlung zu finden, findet aber eher Informationen über ihre eigene Familie, die ihr Weltbild verrücken.

Das Ende ist dann meiner Meinung nach arg konstruiert und praktischerweise sehr vereinfacht, bietet aber zumindest dem auf ein Happy End hoffenden Leser (wie kann so eine Geschichte glücklich enden?) einen Hoffnungsschimmer am Horizont.

Alles in allem beginnt das Buch sehr vielversprechend, kann sein Versprechen jedoch nicht über die komplette Länge des Buches einlösen. Die Hingabe zu Büchern und der Wunsch nach Freiheit und freier Meinungsäußerung allein machen leider noch keinen wirklich guten Roman, auch wenn das Buch immerhin bis zur letzten Seite interessant bleibt, weil man wissen will, wohin die Reise der beiden ungleichen Protagonisten denn letztendlich führen wird.

Was mich außerdem interessiert, ist die Frage, wie man bitte bei einem erst zehn- oder elfjährigen Jungen homosexuelle Neigungen erkennen möchte, aber das ist wohl ein anderes Thema. Dass es in den USA diesbezügliche Umerziehungsgruppen gibt wundert mich hingegen nicht im geringsten.