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In seinem autobiographischen Werk "Ausgesoffen" schildert Bernd Thränhardt, erfolgreicher Fernsehjournalist und Bruder des bekannten Hochspringers Carlo, seinen Weg hinein in die Welt der Schönen und Reichen und seinen damit einhergehenden Absturz in die Sucht nach Alkohol, Drogen und sexuellen Ausschweifungen. Beinahe ebenso detailliert beschreibt er aber auch, wie es ihm schließlich behutsam und "Faden für Faden" mit Hilfe von seiner Familie und guten Freunden, Therapeuten und Selbsthilfegruppen gelang, den Weg zurück in ein (hoffentlich) nachhaltig trockenes und damit auch wesentlich sinnerfüllteres Leben zu beschreiten.

Auch für Nicht-Alkoholiker macht das Buch von der ersten Seite an die innere Zerrissenheit und Besessenheit Thränhardts anschaulich erfahrbar: Besonders prägnant und sprachlich eindrucksvoll ist die vorangestellte Darstellung der schlimmsten Phasen seiner Suchterkrankung, in der er sogar seine Uhr als Pfand abgeben möchte, um seine unersättliche Gier nach Alkohol zu stillen. Der Leser wird so vom ersten Moment an in die packende Handlung hineingezogen: Durch die Augen des in der Ich-Form berichtenden Erzählers betrachtet er hautnah Bernds Kindheit, seine erste gescheiterte Liebe und die Studienzeit, seinen Einstieg in die Medienbranche mit ihren Anforderungen an Höchstleistungen und die trügerische Welt der Schickeria mit all ihren Verführungen und Verlockungen. Dabei gewinnt der Betrachter gleichzeitig unweigerlich neue Einblicke in das Wesen der Alkohol- und Kokainsucht, die Thränhardt - wie viele andere Menschen - jahrzehntelang zunehmend in ihren Würgegriff nahm, seine Gedanken und Gefühle tunnelartig auf seine eigenen Begierden und Gelüste hin verengte und zuletzt sein ganzes physisches wie psychisches Empfinden und Erleben beherrschte. Schonungslos ehrlich und ohne Anklage, Schuldzuweisungen und Selbstmitleid legt Thränhardt sein eigenes (Fehl-) Verhalten und Erleben als Suchtkranker offen, das ihn (wie viele andere Menschen) beinahe in den totalen sozialen und materiellen Ruin und sogar in den Suizid getrieben hätte.

Der Leser wird dadurch zum Zeugen eines gravierenden gesellschaftlichen und finanziellen Absturzes, der allerdings gleichzeitig den Weg für eine nachhaltige menschliche Umkehr und einen äußerst respektablen Reifungsprozess bereitet: Als Thränhardt nach mehreren Entziehungskuren den endgültigen Beschluss gefasst hat, künftig keinen Alkohol mehr anzurühren, erhält sein neues, "trockenes" Leben eine ganz neue Qualität. Durch Selbstreflexion und -analyse gewinnt er neue Einsichten, lernt seine eigenen menschlichen Begrenzungen besser einzuschätzen und zu akzeptieren und demütiger und achtsamer mit sich selbst und seiner Umwelt umzugehen. Darüber hinaus entwickelt er neue Strategien zum Umgang mit Trauer und Angst, Kummer, Sorge und Schmerz, um dem Alkohol aktiv jede Chance zu verwehren, noch einmal in seinem Leben als trügerisches Entspannungsmittel zu fungieren. Er beginnt, jeden scheinbar noch so "banalen" glücklichen Augenblick intensiv auszukosten, und erfährt dabei, dass Sucht und Gier die eigentlichen Gegenspieler des wirklich genussvollen Erlebens sind.

Bernd sieht sein krankheitsbedingtes Fehlverhalten nicht nur ein, sondern übernimmt auch Verantwortung dafür: Er entschuldigt sich bei den Menschen, die er während der schlimmsten Phasen seiner Erkrankung verletzt hat; sein Verhältnis zu seinem Bruder Carlo stellt er auf eine neue Vertrauensbasis; zudem vollzieht der trockene Alkoholiker "tätige Reue", indem er seiner Mutter, die ihm stets aufopferungsvoll zur Seite gestanden hat, bei Haushalt und Gartenarbeit zur Hand geht und sie seinerseits im Alter tatkräftig unterstützt. Er baut eine neue Beziehung zu einer Partnerin auf, die auf gegenseitiger Liebe und Respekt beruht, und lernt, wahre von falschen Freunden und trügerischen Schein von ehrlichem Sein zu unterscheiden.

Als trockener Alkoholiker gelingt es Thränhardt schließlich auch, den zuvor verengten Tunnelblick für die Sorgen und Nöte anderer Menschen zu öffnen und zu weiten. Er knüpft Netzwerke, mit deren Hilfe er öffentlich seine eigenen Erfahrungen mit anderen Suchtkranken teilt. Dadurch macht er sich ebenso verwundbar wie durch das "Coming out", das er mit seinem Buch oder seinen Fernsehauftritten vollzieht. Offensichtlich ist es ihm dennoch ein besonderes Anliegen, aus den Zeiten seiner eigenen tiefsten Depression einen besonderen Nutzen abzuleiten und Sinn zu stiften - sowohl für sich als auch für andere. Dies erfordert eine Menge Mut und eine besondere menschliche Stärke, die Hochachtung und Anerkennung verdient.

Ein Buch, das auch anderen Menschen Mut macht - nicht nur Suchtkranken, sondern allen, die verschuldet oder unverschuldet in eine schwere Sinn- und Lebenskrise geraten sind und sich gezwungen sehen, ihr Leben komplett neu auszurichten und zu strukturieren. Ich wünsche Bernd Thränhardt weiterhin viel Kraft und Durchhaltevermögen auf dem eingeschlagenen Weg. Von meiner Seite gibt es ganze fünf Sterne - sowohl für die spannende, ehrliche und schonungslose schriftliche Darstellung seiner Lebensgeschichte als auch für die bemerkenswerte menschliche Leistung, die dahintersteckt!