All diese Gedanken

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bobbi Avatar

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Nach einer Abtreibung und angekommen an einem Tiefpunkt in einem Leben mit Anfang 30, verzieht sich Henriette zusammen mit ihrer Freundin Paula in einer Hütte im Bayerischen Wald. Paula ist taff und versucht mit alternativen Körperübungen wieder Schwung in Henriettes Leben zu bringen und verkappte Gefühle an die Oberfläche zu locken. Diese ist schon immer depressiv veranlagt und zerlegt jeden Gedanken, jede Erinnerung, aber auch aktuelle Geschehnisse im Wald bei Spaziergängen aufs Genaueste. So recht glaubt sie nicht an Paulas Heilkünste von Traumata, lässt ihren unheimlichen One-Night-Stand mit Tobias Revue passieren, ihre seelisch schmerzhafte Abtreibung und ihre auf Eis liegende Dissertation über Werwölfe. Als Paulas Freund Tom auftaucht, bringt er eine ganz neue Dynamik und Veränderung mit.

„Ich versuche, mir mein Gesicht und meine Schädelknochen als eine Art durchlässiger Membran zu denken, durch welche die Geräusche und Gedanken hindurchschwappen, luzide, freundlich, leicht. Nichts bleibt haften.“ S. 42

Hannah Lühmanns Romandebüt beschreibt die wirbelnden und hadernden Gedanken der depressiven Protagonistin nach einem Sinn im Leben sehr präzise und poetisch. Schöne und tiefgehende Sätze treffen auf den Kern pessimistischer Gedanken und die Frage, warum alle ein sich harmonisch fügendes Leben haben außer man selbst? Dabei steht nicht eine ganze Generation im Vordergrund, sondern Henriette und ihr Kreisen um sich selbst sowie ihre Zweifel um Mutterschaft, Berufswunsch und Beziehungsängsten. Bei der „Auszeit“ passiert nicht viel außer den Unternehmungen und Unterhaltungen der Freundinnen und Henriettes Sicht auf ihr zerbrechliches Seelenleben. Auch wenn das Ende etwas ungewöhnlich und unrealistisch erscheint, ist Hannah Lühmann diese Sicht sehr authentisch und bewegend gelungen.

„Man muss eine Grundbetriebsgeschwindigkeit haben, die einen über die tausend kleinen Abgründe hingwegträgt, die in jeder Handlung, ja, eigentlich in jedem Gedanken versteckt sind. Mir fehlt auf elementare Weise der innere Antrieb. Meine ganze Energie wandert in Gedanken, die nichts mit der Realität zu tun haben.“ S. 85