Ein Buch wie eine Depression mit überraschendem Ende

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gaudbretonne Avatar

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Hannah Lühmann stellt in ihrem Debütroman „Auszeit“ das Innenleben ihrer Protagonistin Henriette, die an schweren Depressionen und Antriebslosigkeit leidet, in den Fokus. Das führt dazu, dass sich der Leser kaum der negativen Schwere entziehen und das Gefühl einer Depression gut nachvollziehen kann. Die Autorin überrascht am Tiefpunkt dann aber mit einem Ende, das so eigentlich nur das wahre Leben schreibt.
Henriette ist mit ihrem Leben gänzlich unzufrieden. Ihre vage Beziehung zu einem verheirateten Mann ist gescheitert, auch weil sie ungewollt schwanger wurde und abgetrieben hat. Seit Jahren hat sie das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Während ihre ehemaligen Kommilitoninnen längst im Berufsleben angekommen sind, oder dieses wegen einer Familiengründung gar wieder verlassen haben, schreibt sie erfolglos an einer Dissertation, zu der sie mangels Interesses an dem Thema „Werwölfe“ keinen Zugang findet. Ein Umdenken oder gar ein Kurswechsel scheint ihr unmöglich, denn gerade Entscheidungen zu treffen, gelingt ihr nicht. Um zu überleben, flüchtet sie sich in Tagesroutinen, manchmal auch in kurze Affären. Begleitet wird sie dabei von ständigen Selbstzweifeln, die so stark sind, dass sie selbst ihren eigenen Gefühlen, Gedanken und Wahrnehmungen nicht mehr zu traut und in trübe Reflexionen verfällt. Lediglich ihre Freundin Paula, der scheinbar alles leicht von der Hand geht, die von Männern begehrt wird und die immer weiß, was zu tun ist, unterstützt sie und schlägt ihr eine Auszeit auf dem Land in aller Abgeschiedenheit vor. Paula will meditieren und Henriette soll ihre Abtreibung verarbeiten sowie an ihrer Doktorarbeit schreiben, so der Plan. Doch dann kommt alles anders…..

„Manchmal kommt Heilung auch auf ganz anderen Wegen, als man sie erwartet…“ konstatiert Paula bereits ganz zu Beginn des Romans, als sie ihren Plan begründet. Dies scheint im Nachhinein wie eine Prophezeiung der Ereignisse, die sich in der „Auszeit“ abspielen. Der aufmerksame Leser wartet von der ersten Zeile an schier auf diesen Moment der „Heilung“, so gebannt ist er durch die düstere, bedeutungsschwere und sezierende Erzählung aus der Ich-Perspektive, die das Trauma und den Schmerz im Herzen von Henriette (und ihrer Generation) lebendig macht. Es ist der Schmerz einer gesättigten Generation, der alle Türen aufstehen. Aber gerade diese vielen Möglichkeiten können den Einzelnen überfordern und zu einer Handlungsunfähigkeit führen.

Die Spannung kippt allerdings recht schnell und wird von einer kaum ertragbaren Monotonie und von scheinbar völlig belanglosen Reflexionen, die teilweise ad absurdum geführt werden, absorbiert. Dazu zählen auch die weitschweifigen Ausführungen zum Werwolf-Thema. Diese Sinnlosigkeit veranlasste mich fast, den Roman in die Ecke zu legen.

Gut, dass dies nicht erfolgte, denn das Ende ist mehr als fesselnd und schlug unverhofft wie ein Blitz ein. Die Heilung kommt durch eine unerwartete Wende und führt gleichzeitig die Funktion der monotonen Reflexionen und der sinnlosen Handlung vor Augen. Henriettes Depression – ihre schwarzen Gedanken und Selbstzweifel - sollen den Leser in einen Strudel der negativen Emotionen ziehen und die Depressionen schier fühlbar machen. Auch durch das langweilige Werwolf-Thema wird der Leser in Henriette versetzt, die mehrfach bekundet, dass sie kein Interesse an diesem Thema hat. Befreit wird er - wie Henriette - erst durch die Wendung der Geschichte, die wie im wahren Leben ihre Vor- und Nachteile hat und daher nicht als absolutes „Happy End“ bezeichnet werden kann, aber als eine Überwindung der Depression!

Dieser Plot und seine Funktion sind daher als genial zu bezeichnen. Auch Lühmanns Umgang mit Sprache ist zweifellos virtuos. Allerdings muss man bereit sein, auch über die extrem zähen und schwermütigen Passagen hinwegzukommen. Belohnt wird man dann in jedem Fall mit einem fulminanten Ende und einer schlüssigen Geschichte.