Ganz bei sich sein

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eckenmann Avatar

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Schon der Umschlag hat mich neugierig gemacht. Die Bläue und Schwärze ergänzen sich gut - und die hellen Buchstaben der Namen des Titels und der Autorin heben sich ein wenig ab. Später beim Lesen wird sich für mich auch eine Stimmigkeit ergeben: Eine *Auszeit* als Rückzug und Besinnung mitten im Wald. Ruhe. Reflektieren. Dieser Kurzroman liegt mir gut in der Hand, es macht einfach auch Spaß, umzublättern.

Die Leseprobe ist für mich ein Einstieg in die Befindlichkeiten der Protagonistin Henriette gewesen - eine Art Nabelschau. Neugierig und gespannt, Gedankengängen der Generation meiner Kinder, der "Generation Y"
zu begegnen, nehme auch ich mir mit dem Lesen meine kleine Auszeit.
Angenehm empfinde ich es, dass dieser Rückzug ein Ankommen im Analogen bedeutet, fernab aller hektischen und multiplen Vernetzung in den sozialen Netzwerken und beim mitunter exzessivem Gebrauch der modernen Medien.

Hier erlebe ich bei aller Ich-Bezogenheit der etwas anderen Heldin Henriette eine Besinnung auf das sinnliche Erleben kleiner Dinge und momentaner Eindrücke.

Insgesamt kreist die Protagonistin aber sehr in ihrem eigenen Kosmos, der einfühlsam und tatkräftig von ihrer besten Freundin Paula auch in der gemeinsamen Auszeit im Bayrischen Wald begleitet wird.
Ich erlebe Henriettes Figur als die einer jungen Frau, die der Mitte ihres Lebens zustrebt, für die das Chaos immer das gleiche ist und die sich nicht "mit dieser Überzahl an Entscheidungen herumschlagen" will und die bisher "keine großen Fehler" "sondern nur viele kleine Missentscheidungen" getroffen hat.
Da sehe ich Anklänge, die zum einen das Nachdenken junger Leute trifft und zum anderen auch durchaus auf das Leben Älterer zutrifft.

Allerdings sehe ich Henriette in sich selbst verfangen. Sie steckt in ihrer Dissertation zum Thema "Wehrwolf" fest und hat sehr mit ihrem Schwangerschaftsabbruch zu tun. Letzteres kann ich als Mann nur aus der Distanz anders nachempfinden, ich glaube, dass dies an sich ein sehr großes Thema ist und weiteren literarischen Bedenkens wert wäre.

Die Beschreibung einzelner vergangener Begegnungen sowie aktueller Erlebnisse im Wald und in der Hütte wechseln sich mit Henriettes Gedanken ab. Für mich ist das Hadern und Zweifeln Henriettes lange Zeit nachvollziehbar.
Die wenigen Figuren (vor allem Tobias als Vater des abgetriebenen Kindes in der Erinnerung) und Tom als Besucher in der Hütte stehen für mich im Hintergrund der Handlung des Kurzromans.
Freundin Paula ist schon viel lebendiger und präsenter, allerdings spüre ich zum Ende hin eher ein Nebenher der Beiden als einen echten Austausch, kaum Ansätze für ein Gespräch.

Vom Plot der Handlung her sehe ich vor allem vom Mittelteil zum Schluss hin Brüche.
Die Lösung ist mir nicht stimmig, zu abrupt und lebensfern.

Die zwischenzeitlich in beeindruckender Sprache getragenen Zeilen des Zweifelns, Unbehagens und Verharrens, die Unentschiedenheit der jungen Frau bleiben mir in Erinnerung.
Sätze und Wendungen, die einfach so für sich stehen können, aber auch nachdenklich machen. Die sich später wie bei einem Puzzle zusammenfügen und zum Weiterdenken anhalten.

Der Roman ist ein kurzweiliges und stellenweise intensives Lesevergnügen, allerdings für mich als älterem und doch etwas erfahrenem Leser in gelassener Grundstimmung gut leistbar.