Leider ziemlich substanzlos

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Henriette sollte ihre Dissertation bald einreichen, kommt aber einfach nicht voran. Dabei ist auch nicht sehr hilfreich, dass sie nach einem kurzen Intermezzo mit einem verheirateten Mann schwanger ist und das Kind letztlich abtreibt. Mit ihrer besten Freundin Paula fährt sie in den bayrischen Wald um mal wieder herunterzukommen, ihren Kopf frei zu kriegen und ihr Leben neu auszurichten.

Der Beginn von Hannah Lühmanns Debütroman konnte mich stark gefangen nehmen. Gerade Fragen wie "Wo will ich eigentlich hin im Leben?" und „Wo bin ich falsch abgebogen?“, die zur Identifikation der Generation Y geworden sind, spielen eine ständige Rolle in Henriettes Leben. Obwohl sie objektiv betrachtet alle Möglichkeiten der Welt hat, hat sie bei jedem noch so kleinen Schritt das Gefühl nicht gut genug zu sein und ihr Leben nicht so auszufüllen, wie sie es mit den Privilegien, die sie hat, tun könnte und sollte. Als Leserin hatte ich das Gefühl, dass Henriette sich deswegen einfach treiben lässt, keine Entscheidungen trifft und sich nun durch die Abtreibung darüber klar wird, dass es so nicht weitergehen kann. Ihre Gefühle und Ängste konnte ich nachvollziehen und wurden durch die Autorin authentisch beschrieben.

Nach gut der Hälfte hat der nur knapp 180 Seiten lange Roman für mich allerdings stark abgenommen. Anstatt dass Henriette wirklich etwas aus ihrer Zeit macht und sich mit ihren Werten und Wünschen auseinandersetzt, lässt sie sich einfach weiter dahintreiben. Vor allem von Paula, ihrer besten Freundin, die auf den wenigen Seiten ständig von Yoga, Meditation, Achtsamkeit und Handauflegen redet, was ich ihr jedoch nicht vollständig abnehmen konnte. Wie es hinter der gelassenen Fassade aussieht, bleibt für mich leider ungeklärt. Ich hätte erwartet, dass Henriette lernen muss Verantwortung zu übernehmen und aktiv etwas zu gestalten, doch nichts dergleichen passiert.

Das Buch lässt mich dann tatsächlich sehr ratlos und fast schon wütend zurück. Henriettes Probleme scheinen sich irgendwann in Luft aufgelöst zu haben, wo genau und durch welchen Trigger, wurde nicht beschrieben. Die Autorin hat es sich in meinen Augen etwas zu einfach gemacht, eine sehr passive und hoffnungslose Protagonistin in ein paar Sätzen im Epilog in eine zufriedene Frau zu verwandeln und das quasi aus dem Nichts heraus. Welche Opfer sie dafür bringt, welche Aufgaben und Ängste sie bewältigen muss und welche sozialen Komplikationen ihre Entscheidungen mit sich bringen, fällt unter den Tisch.

Der Anfang gefiel mir so gut, das Ende war für mich leider sehr schwach und substanzlos. Für mich wurde Henriette zwar anfangs ganz gut gezeichnet und authentisch beschrieben, ihr Weg zu sich selbst und zu dem Leben, das sie leben will, fühlte sich dagegen alles andere als realistisch an. Vielmehr wirkte der Epilog auf mich leider sehr distanziert und fast schon surreal bei der Henriette, die ich als Leserin auf den vorherigen Seiten kennen gelernt habe. Ihr Glück habe ich ihr nicht abgekauft und so bleibe ich leider enttäuscht zurück. Was die Autorin mit diesem Roman vermitteln wollte, bleibt mir leider verborgen.