Neue Liebe, neues Leben in Tschernowo

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theresia626 Avatar

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In Alina Bronskys neuem Roman "Baba Dunjas letzte Liebe" geht es um eine Gruppe von älteren Überlebenden der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die sich in der verlassenen Ortschaft Tschernowo angesiedelt hat. Ich-Erzählerin Baba Dunja hatte ihr Haus damals als eine der Letzten verlassen und gehörte zu den Ersten, die zurückkehrten. Sie leben in einer dörflichen Gemeinschaft als Selbstversorger, bewirtschaften ihre Gärten und halten Tiere. Der Preis für dieses idyllische Leben ist die vollkommene Isolation; denn keiner macht Besuche in der verstrahlten Todeszone. Baba Dunjas Tochter Irina arbeitet in Deutschland als Chirurgin für die Bundeswehr. Sie hält zwar den Kontakt mit der Mutter, besucht sie aber nie in dem eigentlich unbewohnbaren Ort. Ihren Schwiegersohn und ihre Enkelin Laura hat Baba Dunja noch nie gesehen.
Mit der ehemaligen Krankenschwester Baba Dunja hat Alina Bronsky eine sehr sympathische Figur geschaffen. Sie ist desillusioniert, aber keineswegs unglücklich. Sie hat alles gesehen und vor nichts mehr Angst. Schon nach den ersten Seiten ist deutlich, dass der Leser viel über das Leben "nach dem Reaktor" erfährt, zum Beispiel dass es unendlich viel Ungeziefer gibt, weil ein großer Teil der Vögel nicht mehr hier lebt.
Mir hat die Leseprobe sehr gut gefallen, und ich bin gespannt auf die Fortsetzung. Es wird mindestens eine Liebesgeschichte geben, dafür aber auch einen Fremden, der die Idylle stört. Sprachlich ist der Text anspruchsvoll mit vielen originellen Metaphern ("Der Himmel hängt hellblau wie ein verwaschenes Bettlaken über dem Dorf." S. 7). Jeder, der "Scherbenpark" und "Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche" kennt, wird diesen Roman lesen wollen.