Genial - vielleicht...

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lesemiezi Avatar

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„Barbara stirbt nicht“ ist ein Roman, der mir sehr gut gefallen und mich tief bewegt hat, aber auch einige Fragen offenlässt.

Die Ausgangssituation mit der plötzlich erkrankten Ehefrau, die im Bett liegen bleibt und keinen Finger mehr im Haushalt rührt, wird im Fortgang der Geschichte nur variiert – stets bleibt es dabei, dass der plötzlich in die Rolle des Hausmanns und Pflegers gerutschte „Schmidt Walter“ versucht, die Tücken des Einkaufens, Kochens und Saubermachens (an dieser Stelle: wunderbares Cover!) irgendwie zu meistern. Hilfe eilt gerufen oder ungerufen herbei und wird oft bissig kommentiert. Ich fand es herrlich, wie Alina Bronsky dabei zwar vordergründig die Perspektive ihrer Hauptfigur einnimmt, sich aber gleichzeitig ironisch davon distanziert. Auch die Art und Weise, wie sie so manche Besonderheiten in der Lebenssituation der Russlanddeutschen einflicht, hat mir sehr gut gefallen.

Schon am Anfang des Buches wird klar, dass „Schmidt Walter“ nicht nur ein etwas bräsiger Rentner mit ein paar anstrengenden kleinen Eigenheiten, aber ansonsten eine doch ganz liebenswerte Figur ist. Nein, er hat seiner Frau, seinen Kindern und noch so manchen anderen Menschen das Leben schwer gemacht. Wie schwer, macht man sich als Leser*in erst ganz allmählich bewusst. Konnte ich am Anfang noch über viele Situationen und Dialoge schmunzeln oder sogar laut lachen, so blieb mir das Lachen zunehmend im Halse stecken, und manche Szenen haben mich sogar zu Tränen geschmerzt. Als „bitterböse“ wird der Humor von Alina Bronsky im Verlagstext beschrieben, und genauso bitterböse stellen sich schließlich viele Verhaltensweisen von Walter dar. Ansatzweise beginnt er, diese im Laufe der Geschichte zu reflektieren, es tun sich winzige Risse in seinem festbetonierten Weltbild auf, manche Verhärtungen beginnen zu schmelzen und teilweise werden auch kleine Versuche der Wiedergutmachung sichtbar, denen man nach dem halboffenen Ende des Romans eine Fortsetzung wünscht. Wieviel Heilung in dieser Familie nötig ist, wird brutal deutlich; wieviel möglich ist, mag die Leserin oder der Leser sich selbst zusammenreimen.

Ein Fünf-Sterne-Buch wäre das für mich gewesen, wären da nicht die großen Ähnlichkeiten zum Film „About Schmidt“, auf die ich dankenswerterweise hingewiesen wurde. Jetzt frage ich mich natürlich, ob das Absicht ist (vermutlich ja schon!) und welcher Sinn hinter den fast gleichen Namen Walter und Warren Schmidt und den teils sehr ähnlichen Figurenkonstellationen und Situationen steckt. Ist das Buch als eine Art Parallelgeschichte zum Film zu lesen? Da ich ihn bisher nur szenenweise gesehen habe, kann ich das nicht beurteilen. Ich habe allerdings vor, ihn mir bald komplett anzuschauen; und dann wird sich zeigen, ob Film und Buch gemeinsam vielleicht noch ganz neue Deutungsebenen eröffnen – oder ob Bronskys Roman am Ende eben doch nur irgendwie abgekupfert wirkt. Daher ist es gut möglich, dass ich meine Bewertung des Romans irgendwann noch einmal deutlich ändere!

Ich danke dem Verlag sehr herzlich für das Rezensionsexemplar und freue mich darauf, weitere Titel von Aliny Bronsky für mich zu entdecken.