Und ganz langsam dreht sich die Geschichte …

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
phoebe caulfield Avatar

Von

Es ist der neue Alltag von Walter Schmidt, in den die Leser_innen langsam hineingezogen werden. Dessen Frau fällt nach Jahrzehnten für die tägliche rund-um-Versorgung aus und Walter muss sehen, wie er zurechtkommt. Die Beschreibungen über diese Misere bewegen sich zwischen urkomisch über erbarmungslos bis zutiefst traurig und berührend.

Zu Beginn meint man sich in einer harmlos-witzig und hochgradig unterhaltsamen Geschichte über einen zur Hausarbeit unfähigen und kaltschnäuzigen Rentner-Patriarchen zu befinden. Und dann beginnt Alina Bronsky ganz allmählich und behutsam diese Annahme zu drehen.

Mit großem Fingerspitzengfühl und viel Empathie erfahren die Leser_innen, welche Geschichten und Schicksale hinter den gemeinsamen Ehejahren von Barbara und Walter stecken (geprägt von Flucht, Vertreibung, Assimilation u.a.). Und wie Walter sich in diesen späten Lebensjahren auf seine ganz eigene Art bemüht, dieser, ihrer Geschichte doch noch zumindest eine gute Wendung zu geben.

Obwohl ich die Lektüre sehr genossen habe, hat mich das Ende etwas irritiert. So rührend der Part ist, wirkte er für mich etwas „angeflanscht“. Hätte das Buch meiner Meinung nach nicht gebraucht und wäre eher Material für ein weiteres.

Ein wunderbar typischer Bronsky-Roman – sehr unterhaltsam und gleichwohl mitfühlend bis in die kleinste Nebenfigur. Und dies etwa nicht durch ausufernd erklärende Szenen, sondern durch ganz präzise Worte, Dialoge und lediglich Andeutungen. Kein Mensch ist ohne Geschichte und diese kann einen auch im hohen Alter (erst) einholen.