Walter kommt klar

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laberlili Avatar

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Dass Barbara nicht stirbt, steht für Walter zweifelsfrei fest: Da erkundigt er sich auch gar nicht weiter nach einer genaueren Diagnose, nachdem ihre Kinder darauf bestanden haben, sie zu einer fachärztlichen Untersuchung zu bringen. Barbara bleibt nun halt einfach liegen, isst kaum mehr, nimmt ihre Umwelt immer weniger wahr… aber während immer mehr Bekannte der einst sehr umtriebigen und engagierten Barbara vorbeikommen, um diese „noch einmal zu sehen“, bleibt Walter weiterhin überzeugt, dass Barbara eben nicht stirbt und dass er auch es auch alleine schaffen kann, sowohl Barbara zu versorgen wie auch sich um Haushalt, Garten und Hund zu kümmern.
In „Barbara stirbt nicht“ bleibt man perspektivisch dicht an Walter, wobei der Erzähler faktenbasiert bleibt und neutral beobachtet; Einblicke in Walters Gefühlsleben erhält man kaum. Er ist eher von der Fraktion „oller Grantelkopf“; seine Kinder können ihm generell nichts richtig machen und ohnehin drängen sie sich Barbara und ihm für sein Empfinden nun zu sehr auf: Während er noch behauptet, alles im Griff zu haben und keine Probleme sieht, reagiert vor Allem seine Tochter entsetzt auf „Ordnung und Sauberkeit“ im Haushalt und dass sich die Wäsche längst türmt, ist Walter noch gar nicht aufgefallen, denn schließlich lägen noch genug Klamotten im Schrank.
Häufig erkennt man nur durch diese Scharmützel, wie überfordert Walter mit der Situation tatsächlich ist – das Einzige, bei dem er wirklich heraussticht, ist beim Kochen und Backen. Ausgerechnet er, der zunächst nicht einmal Kaffee kochen kann und sich in der nächstgelegenen Bäckerei von einer Mitarbeiterin erklären lässt, wie man das eigentlich macht – und besagte Mitarbeiterin kurzerhand als eine Art persönlichen Erklärbär anerkennt, an die er sich in Sachen Haushaltsfragen fortan regelmäßig wendet. Mittels Barbaras Facebook-Konto, in dem sie auf ihrem PC immer noch eingeloggt ist und das er kurzerhand okkupiert, dringt er in die Community rund um einen Fernsehkoch ein, dessen Rezepte für ihn völlig klar und verständlich sind, weswegen er sie gerne nachbereitet und wird da als „Herr Barbara“ , von dem sich niemand sicher zu sein scheint, ob er nicht bloß ein Troll ist, zu einer kleinen Kultfigur ohne dass es Walter bewusst wird. Denn auch das Internet ist für ihn Neuland; Walter ist eine Figur, die auf sehr (wirklich seeeeehr!) brummige Weise ihren ganz ureigenen Charme besitzt; er nimmt kein Blatt vor den Mund und prinzipiell stellt sich hier beim Lesen ständig die Frage, wen er wohl als Nächstes brüskieren wird.
Es gibt bislang wenig derart unsympathische Protagonisten, von denen ich so gerne wie von Walter gelesen habe. Dieser eher kurze Roman ist so wunderbar tragikomisch, da sich der Ernst der Situation auch erst im Verlauf Stück für Stück enthüllt, während Walter zum Beispiel immer wieder verblüfft feststellt, wie alt auch die Kinder seiner gleichaltrigen Freunde bereits sind und dass sogar jene teils schon stark ergraut sind, und wie doch mehr und mehr helfende Hände ins Haus gelangen.

Ich fand es wunderbar, wie wenig schwermütig dieser Roman trotz des bedrückenden Hintergrundes doch blieb und wie immer wieder auch ein „Walter kommt klar“ durchblitzte. „Barbara stirbt nicht“ zeigt auf eindrückliche Weise, wie sehr sich der Alltag verändern kann, wenn der Partner oder in diesem Fall eben die Partnerin, nach Jahren plötzlich nicht mehr präsent ist und man sich plötzlich auch mit Aufgaben und Tätigkeitsfeldern konfrontiert sieht, an die man selbst zuvor womöglich seit Jahrzehnten keinen einzigen Gedanken verschwendet hat, weil da im gemeinsamen Haushalt die Aufteilung so klar und strikt war. Da spiegelt der Inhalt sehr schön wider, wie bewundernswert es eigentlich ist, wenn alte Menschen, die plötzlich keinen mehr neben sich haben, sich doch noch wieder in einen eigenen, geregelten Alltag hineinfinden können und sich selbst ebenfalls nicht einfach aufgeben.

Dieses Buch hat mir wirklich sehr gut gefallen, mich nachdenklich gemacht, mich tief berührt… leider endet es sehr abrupt und an der Stelle habe ich mich wirklich beim Lesen gestört gefühlt; ich hätte da doch sehr gerne noch zwei, drei Kapitelchen mehr gehabt.