Zartbitterböse

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angie99 Avatar

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In diesem Roman tauchen wir ein in die Gedankenwelt des Herrn Schmidt; einem sturen, eigenbrötlerischen Rentner. Seine Tage sind getaktet, sein Stolz ist urdeutsch, seine Prinzipien sind festgefahren, seine Meinung ist tonangebend in der Familie.
Und dann passiert es: seine Ehefrau Barbara – bisher „gesund wie ein Pferd“ - stürzt (das schlimmste: noch vor dem Kaffeekochen) und bleibt erst mal bettlägerig. „Es war nicht ihre Art, morgens auf dem Badezimmerboden herumzuliegen, aber sie sagte nichts weiter dazu und hielt die Augen geschlossen. Man musste ja auch nicht über alles reden.“ (S. 9)
Natürlich würde jeder „normale“ Mensch sich erst mal Sorgen um Barbara machen und schnellstens herausfinden wollen, was denn der guten Frau fehlt. Nicht so Herr Schmidt. Er ist der Meinung, dass sie nur essen muss, um wieder zu Kräften zu kommen.
So bleibt dem guten alten Walter Schmidt, der Zeit seines Lebens die Küche nicht betreten hat, nichts anderes übrig, als kochen zu lernen. Dass dies nicht ohne Pannen vonstatten geht, versteht sich von selbst – und sorgt vorhersehbar für viele witzige Momente. „Er sprach die Anweisung laut nach, füllte zwei Löffel Pulver in den Filter, gab einen weiteren für die Kanne dazu, salzte kräftig, füllte Wasser ein und drückte auf den Knopf. Es war ein Kinderspiel. Der Kaffee hatte einen intensiven Beigeschmack, der auch durch die Milch nicht verschwand.“ (S.30) Dass solch comicartige Situationen nicht zu Flachwitzen ausfallen, dafür sorgt Alina Bronsky mit einem ausgefeilten Schreibstil, der ständig die Doppelbödigkeit von Herrn Schmidts (Hinter-)Gedanken und gängigen gesellschaftlichen Konventionen durchscheinen lässt.

Während dieser Roman stilistisch auf meisterliche und einzigartige Weise zwischen klassischem Humor und bitterböser Satire ausbalanciert ist, schlägt er inhaltlich ziemlich konventionelle Wege ein. Dass es dem sich plötzlich mit Kochtöpfen, Facebook-Kommentaren und bedrängend-verständnisvollen Witwen konfrontiert sehenden Herr Schmidt gelingen wird, über sich und seine bisherigen Prinzipien hinauszuwachsen, ist keine allzu große Überraschung. So überzeugt dieses Werk nicht unbedingt mit spannenden Wendungen, aber einer herzerwärmenden Charakterstudie eines Misanthropen auf seinem Weg, sich der modernen Welt und seinen Mitmenschen zu öffnen.
Besonders die Beziehung zwischen Barbara und Walter Schmidt ist sehr differenziert herausgearbeitet. Man ahnt schon, dass Barbara nicht viel zu sagen hatte in ihrem 50jährigen Eheleben. „Nicht dass sie sich beklagt hätte, aber er hatte die mit Schuldgefühlen gemischte Verzweiflung in ihrem Gesicht gesehen. Mitleid hatte er keins gehabt: Alle anderen Frauen schafften es schließlich irgendwie, ihre Männer satt zu kriegen.“ (S. 50) Doch neben seinen herablassenden Kommentaren drücken sich auch immer wieder kleine Liebeserklärungen durch: „Er blickte Barbara an und ertappte sich irritiert bei dem Gedanken, dass sie schön war.“ (S. 78)

Bronsky versteht es, diese feinen Zwischentöne mit leichter Ironie herauszustellen. Als Leser:in schwankt man ständig zwischen den unterschiedlichsten Gefühlen dem Erzähler gegenüber: Herr Schmidt ist eben unmöglich, aber nicht unmenschlich. Man wundert sich über ihn, man ärgert sich mit ihm und über ihn, man bemitleidet ihn, man schwankt irgendwo zwischen Fremdschämen und Sichinsfäustchenlachen über seine Lebensunfähigkeit.

Leider fallen im Gegensatz dazu die Nebencharaktere – allen voran Sohn, Enkel und Tochter der Schmidts - ziemlich scherenschnittartig aus. Hier hätte ich mir eine schönere Herausarbeitung ihrer Charaktere gewünscht. Außerdem war mir das Ende der Geschichte, die nach einem sehr gemütlichen Beginn plötzlich mit zeitlichen Zusammenfassungen aufwartet, zu schnell heruntererzählt.

Trotzdem: eine schöne, zartbitterböse Schmunzelgeschichte, die mit großer Liebe zu ihrer eigentlich total unsymapthischen Hauptfigur punktet und der einen oder anderen nachdenklich stimmenden Entwicklung aufwartet. Sehr gerne gelesen!