Beeindruckter Roman über eine wahre Tragödie

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la calavera catrina Avatar

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„Weil-weil-weil säumt den Lebenspfad armer Kinder in ein ebenso beschissenes Erwachsenenleben, von der Wiege bis zur Bahre.“

In dem Jugendroman "Baumschläfer" geht es um den 14-jährigen Marius, der bei einem häuslichen Drama seine Mutter verliert, es anschließend im Heim nicht aushält und auf der Straße lebt. Der Roman erzählt frei nach einer wahren Begebenheit, hält sich aber überwiegend an den dokumentieren Ablauf und gibt Marius eine Stimme, die er im wahren Leben nie hatte. Der stille "Kapuzenjunge" mit dem viel zu großem Hoodie verschließt sich zunehmend, nachdem er im Heim ist. Er misstraut den Erwachsenen. Ändern soll er sich, umgänglicher werden, sich anpassen - die Sozialarbeiter, Pädagogen und Polizisten scheitern; um sich zu schützen, reagiert Marius gleichgültig bis feindselig und aggressiv. Freundliche Stimmen rauschen an ihm vorbei, nette Gesten bleiben unerwidert, dabei ist er einfach nur ein Junge, der seine Mutter vermisst.

Christian Duda gewährt einen intensiven Einblick in Marius zerstörerische und beinahe philosophische Gedankenwelt, voller derber Ausdrücke und Wut, voller eindrücklicher Selbstgespräche, die den Hunger vertreiben sollen. Wirklich beeindruckend, wie kunstvoll Christian Duda es schafft, die Emotionen durch den Text zu transportieren, obwohl die kurzen, abgehackten Hauptsätze beim Lesen herausfordernd sind. Durch fett gedruckte Worte, die nie über Marius Lippen kamen, verleiht er ihm hiermit Ausdruck, und zeigt, was es bedeutet, sich verloren zu fühlen, weil man nicht die Hilfe bekommt, die man gebraucht hätte.

Der distanzierte Schreibstil ist besonders und ich empfehle jedem, erstmal ins Buch reinzulesen bzw. die Leseprobe anzuschauen. Aufgebaut wie eine Fallakte, existieren erläuternde Kapitel, in denen sich ein Ich-Erzähler äußert. Zum Abschluss wirken die Kommentare verschiedener Beteiligter und Unbeteiligter wie ein Spiegel der Gesellschaft. Ein wertvolles Jugendbuch über einen wortkargen Jungen, deren Hilfeschreie niemand hörte. Kritisch, tragisch, erschreckend und intensiv. In jeder Hinsicht keine leichte Lektüre - dafür sehr lesenswert!