Zwischen Kohlmeisen und Stoffwindeln

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fräulein_jennifee Avatar

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Wenige Sätze sind es, die Alena Schröder braucht, um Silvia vor unserem Auge erstehen zu lassen. Sie hat ein Auto geklaut und das zum ersten Mal in ihrem Leben. Mit diesem Auto macht sie sich ausgerechnet auf den Weg zu ihrer Mutter. Sie will zurück in den Garten voller Hortensien und den Kohlmeisen des Buchcovers, auf der Suche nach der Unbeschwertheit ihrer eigenen Kindheit. Und bereits nach einer einzigen Seite wissen wir, dass wir mit ihr auf die Reise gehen wollen.

Bei euch ist es immer so unheimlich still führt uns zu den Wendepunkten der deutschen Geschichte, an jene Orte des Zwanzigsten Jahrhunderts, auf die wir unser Augenmerk legen sollten, da sie uns heute noch schmerzen. Von den letzten Kriegstagen geht es über die Fünfziger bis ins Jahr 1989, kurz vor dem Fall der Mauer. Im sprudelnden Kern der Geschichte stehen die Frauen. Silvia, voller Revoluzzertum und Liebe für ihre neugeborene Tochter. Betti, die ihren Schmerz nachts ins Kissen weint. Und Evelyn, die irgendwo im Laufe ihres Lebens erstarrt ist, fest davon überzeugt, dass die Straße des Lebens aus den statischen Gleisen einer Schmalspurbahn gehauen wurde.

Schröders Roman besticht mit sprachlicher Definition. Vom Berliner Wohngemeinschaftsjargon bis hin zum spießbürgerlichen Akademikersprech spielt sie die Klaviatur der Soziolekte voll aus. Dabei legt sie eine Leichtigkeit an den Tag, an der sich auch im Angesicht der Tragik festhält. Am Ende ist es diese Leichtigkeit, die die Tragik definiert, ihr Kontrast und Kontur verleiht.

Man möchte weiterlesen, daran besteht kein Zweifel. Möchte erfahren, wie die Beziehung zwischen Silvia und Evelyn erstarrt ist, wie sich das Schweigen rund um die tickenden Uhren im schwäbischen Wohnzimmer ausgebreitet hat, wie die Kalkflecken auf das Wasserglas kommen. Und warum ihre Mutter so anders ist, als Silvia sie in Erinnerung hat, die Mauer aus Schweigen aber unverändert geblieben ist.