Tiefgründige Familiengeschichte

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
dorli Avatar

Von

In ihrem Roman „Bei euch ist es immer so unheimlich still“ widmet sich Alena Schröder zwei weiteren Zeitabschnitten aus der Familiengeschichte rund um Evelyn Borowski. Während wir in „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ zum einen mit Evelyn als junges Mädchen in den 1920er und 30er Jahren und zum anderen mit Evelyn als hochbetagte Frau, die in einer Seniorenresidenz lebt und den Besuchen ihrer 27-jährigen Enkelin Hannah entgegenfiebert, bekannt gemacht werden, sind es in diesem Roman die Nachkriegszeit - Evelyn ist Ärztin, Ehefrau und Mutter - sowie die Zeit rund um Mauerfall und Wende - Evelyn befindet sich im Ruhestand und hat sich aus Frust in ihren Haus eingeigelt, als plötzlich ihre Tochter Silvia vor der Tür steht, im Arm Evelyns vor wenigen Wochen geborene Enkelin Hannah.

Obwohl dieses Buch auch ohne Kenntnis des Vorgängerbandes bestens verständlich ist, habe ich das Wissen um die bisherigen Ereignisse als Bereicherung empfunden. Auch in diesem Roman konzentriert sich Alena Schröder nicht ausschließlich auf Evelyn, sondern erzählt auch ausführlich von den Frauen in deren familiärem Umfeld. In dem in den 1950er Jahren spielenden Part lernen wir ihre Freundin und Schwägerin Betti, die als „Übriggebliebene“ ihr Leben so gestaltet, wie sie es für richtig hält, besser kennen. Und in dem 1989er Erzählstrang ist es die rebellische Silvia, die in den Fokus der Handlung rückt.

Alena Schröder hat einen angenehm zügig zu lesenden Schreibstil - schnell ist man mittendrin im Geschehen und kann den unterschiedlichen Ereignissen mühelos folgen. Auch der stetige Wechsel zwischen den Zeitebenen ist unproblematisch.

Die Autorin wartet mit einer großen Portion Gesellschaftskritik auf. Jede Zeit hat ihre Eigenarten und prägt den Menschen durch eine Vielzahl von Herausforderungen und Ansprüchen. Das gilt natürlich auch für die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Darstellung dieser gesellschaftlichen Zwänge und der damit einhergehenden hohen Erwartungen an jeden Einzelnen und eben besonders an die Frauen in der Gesellschaft habe ich als sehr gelungen empfunden.

In dieser mehrere Generationen umspannenden Familiengeschichte geht es um die vielfältigen Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern. Es geht darum, wie diese Frauen mit den an sie gestellten Erwartungen umgingen. Wie sie den Spagat zwischen gesellschaftlichen Konventionen und der Verwirklichung ihrer eigenen Träume schafften oder eben auch nicht schafften. Es geht darum, was die Unzufriedenheit mit ihnen gemacht hat, wenn die eigenen Wünsche auf der Strecke blieben. Es geht um ihren Umgang mit großen und kleinen Dramen und alltäglichen Konflikten. Und es geht darum, dass Probleme gelöst wurden, indem man sie einfach totschwieg.

Ausnehmend gut gefallen hat mir das glaubwürdige und lebensnahe Zeitkolorit. Insbesondere die biedere Kleinstadtatmosphäre im fiktiven Ildingen wird sehr authentisch dargestellt. Vieles hat mich an meine eigene Kindheit und Jugend erinnert, vor allem das ewige „was sollen die Leut’ denn sagen“ ist mir auch heute noch im Ohr und lässt mich nach wie vor den Kopf schütteln.

„Bei euch ist es immer so unheimlich still“ hat mir sehr gut gefallen - eine tiefgründige Familiengeschichte, die kurzweilig erzählt wird.