Eine Spurensuche

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katrinb Avatar

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Der Ich-Erzähler Frank Zimmermann dümpelt so durchs Leben. Er ist Anfang Vierzig, hat eine gescheiterte Beziehung hinter sich, einen Sohn, zu dem er kaum Kontakt hat und keine wirkliche berufliche Zukunft. Seine Beziehung zu einer verheirateten Frau scheint schon von Anfang an aussichtslos. Als seine Eltern beschließen, ihr Haus zu verkaufen, fährt Frank ins Ruhrgebiet, wo er aufgewachsen ist, um vielleicht einige Erinnerungsstücke mitzunehmen. Das ist der Ausgangspunkt für eine Spurensuche nach seiner Familiengeschichte. Da der Vater eher wortkarg ist, nimmt Frank Kontakt zu den elf Geschwistern seines Vaters auf und erfährt Unglaubliches…
Das Buch hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Auf gerade mal 234 Seiten entwirft der Autor eine Familiengeschichte von Menschen am Rande der Gesellschaft. Ihr Leben ist geprägt von Armut, Grausamkeit, Empathielosigkeit, dem Kampf ums Überleben, aber auch von Stolz. Trotz des deprimierenden Themas ist der Ton des Autors leicht, manchmal sogar witzig, niemals larmoyant und vor allen Dingen sehr präzise. Er schreibt so lebensnah und überzeugend, dass ich mir immer vor Augen halten musste, dass es sich um ein fiktionales Werk handelt – inwieweit es autobiographisch ist, kann ich nicht beurteilen.
Neben der Schilderung prekärer Lebensverhältnisse und einem Stück deutscher Nachkriegswirklichkeit geht es in diesem Buch auch um die Annäherung an den Vater, um das Schweigen zwischen den Generationen und das Bemühen, nicht dieselben Fehler zu wiederholen wie die Elterngeneration. Wie der Sohn versucht, Kontakt mit dem wortkargen, innerlich verhärteten Vater aufzunehmen, hat mich sehr bewegt. Wie kann man einen Menschen erreichen, der seine Gefühle tief in sich verschlossen hat, weil er nur überleben konnte, wenn er gut in sich versteckt, was gewesen ist? Ich denke, dass diese Problematik typisch ist für die Generation, die im Krieg oder kurz danach aufgewachsen sind.
Nicht zuletzt möchte ich die schöne Sprache erwähnen, die dem Autor eigen ist. Nüchtern, dabei gleichzeitig poetisch, präzise, dabei bildhaft und plastisch – der Roman ist auch sprachlich ein Genuss. Ich werde sicher noch mehr von diesem mir bislang unbekannten Autor lesen!