Ruhrpott-Zeitreise

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Frank Zimmermann, Anfang Vierzig, der Ich-Erzähler des neuesten Buches „Beifang“ von Martin Simons. Aufgewachsen in einer Zechensiedlung am Rande des Ruhrgebietes, in beengten, ärmlichen Verhältnissen. Und obwohl Frank als erster seines Familienclans Abitur machen und studieren konnte, gelang es ihm nicht, seinen Plan als Drehbuchautor und Journalist zu verwirklichen. Mehr schlecht als recht mogelt er sich durchs Leben als freier Texter. Auch in der Beziehung läuft es nicht rund. Er hat einen 12-jährigen Sohn, den er zwar liebt, aber 1-2 Male im Jahr sieht. Marie, die Mutter des Sohnes ist von ihm geschieden und er pflegt lediglich eine lose Beziehung zu ihr. Er fasst sein Leben mit dem Satz zusammen: „Wenn lebendig zu sein bedeutet, von Emotionen und Sensationen durchströmt zu werden, dann war ich eher tot.“

Als seine Eltern beschliessen, das elterliche Haus zu verkaufen und danach in eine Seniorenanlage zu ziehen, kehrt Frank zurück ins Ruhrgebiet zurück, um bei der Auflösung des Haushaltes zu helfen. Dabei findet er eine alte Holzkiste, die sein Vater vom Grossvater geerbt hat. Gerne hätte Frank mehr erfahren über diesen Mann, doch sein Vater schweigt und lässt sich kaum etwas entlocken. Daher beschliesst Frank, sich selber auf die Suche zu machen und mit einigen der 11 Geschwister seines Vaters Kontakt aufzunehmen. Aus Gesprächen mit Onkeln und Tanten erfährt er mehr über dessen Leben in bitterster Armut. Eine Jugend voller Gewalt und Aussichtslosigkeit. Die Grosseltern waren kaum in der Lage, die Grossfamilie zu ernähren und für das Allernötigste zu sorgen. An eine gute schulische Ausbildung der Kinder war nicht zu denken. Früh hiess es für sie: Arbeit suchen und zum Unterhalt der Familie beizutragen.

Frank erfährt viel auf seiner Verwandtentour. Trotzdem schein es, dass diese nicht in Selbstmitleid zerfliessen, nicht ständig darüber jammern oder verbittert sind. Im Gegenteil, ein gute Portion Stolz schwingt in den Erzählungen mit. Stolz, es trotzdem geschafft zu haben, auch wenn das Aufwachsen im Elend Spuren in deren Leben hinterlassen hat. Einige davon, findet Frank auch in seinem eigenen Leben wieder…

Fazit: Aus meiner Sicht ist Martin Simons ein grossartiges Buch gelungen. Eines, das sich allerdings nicht leicht liesst und einen manchmal auch ziemlich bedrückt. Meine Erkenntnis daraus: Die eigenen Wurzeln lassen sich nicht verleugnen, doch es liegt an uns, sich nicht von ihnen beeinflussen zu lassen. Bestimmt nicht ein Buch nach jedermanns Geschmack, aber ich fand es absolut lesenswert.

Passend gewählt auch das düstere Cover!