Letzter Ausweg Kidnapping

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„Das erste Kidnapping war nicht meine Schuld. Alle weiteren - das war definitiv ich.“ So beginnt der rasant erzählte, gesellschaftskritische, satirische Debütroman von Rahul Raina.
Ich-Erzähler Ramesh wächst als Sohn eines einfachen, zu Gewaltausbrüchen neigenden Teeverkäufers, eines Chai-Wallahs, in Delhi auf. Glückliche Umstände ermöglichen dem Jungen trotz widriger Voraussetzungen eine gute Schulbildung und letztendlich eine Karriere als sogenannter „Bildungsberater“. Ramesh absolviert stellvertretend für die verhätschelten, ungebildeten Kinder der Reichen die alles entscheidenden mehrtägigen Abschlussprüfungen. Denn nur ein sehr gutes Prüfungsergebnis sichert den Zugang zu den Elite-Universitäten der Welt und stellt damit die Weichen für ein erfolgreiches Leben. Rameshs Professionalität spricht sich schnell herum, er verdient ausgezeichnet bis ihm seine Berufserfahrung unvorhergesehen zum Verhängnis wird und der langjährige Betrug aufzufliegen droht.
„Bekenntnisse eines Betrügers“ wirft einen bitterbösen Blick auf das heutige Indien, in dem das längst abgeschaffte Kastensystem immer noch in den Köpfen präsent, die Schere zwischen Arm und Reich gigantisch ist. Alles und jede:r ist käuflich in diesem System, ein Deal immer möglich. Raina entlarvt die Oberflächlichkeit der indischen Upper Class bzw. der zu Geld gekommenen oberen Mittelschicht. Alles ist Show, mehr Schein als Sein, dabei sind alle doch irgendwie auf der Suche nach dem Echten, nach aufrichtigen zwischenmenschlichen Begegnungen.
Der Ich-Erzähler berichtet temporeich in einer lockeren, manchmal derben und flapsigen Sprache, aber immer auf den Punkt und mit einer guten Prise schwarzem Humor gewürzt. Der Text ist mit zahlreichen Hindi-Wörtern gespickt, deren Bedeutungen in einem Glossar am Ende des Buches nachgeschlagen werden können. Immer wieder gibt es Referenzen zu Kinofilmen, aber Rameshs Geschichte ist alles andere als typisch für einen Bollywood Blockbuster, obwohl durchaus vereinzelt Elemente auftauchen wie z.B. eine gesellschaftlich nicht anerkannte Liebe, Heldentum sowie eine Achterbahnfahrt der Gefühle, der man beim Lesen unmittelbar ausgesetzt ist. Neben der sehr treffenden Gesellschaftskritik, die vor allem den Fokus auf Korruption in allen Bereichen, Vetternwirtschaft, Sexismus sowie auf die Oberflächlichkeit und Macht der Medien legt, kritisiert der Autor die rechtsnationalistische Hindu-Partei BJP, die im Buch allerdings kein einziges Mal namentlich genannt, dafür aber umso deutlicher beschrieben wird.
Obwohl vieles überspitzt dargestellt scheint, zeichnet Rahul Raina ein sehr authentisches, lebendiges Bild vom heutigen Indien mit all seinen Problemen. Die Inhalte sind eingebettet in eine Art Gaunerkommödie, einer irrwitzigen, turbulenten Geschichte, die lediglich zu Beginn des letzten Drittels etwas zäh zu lesen ist. Am Ende nimmt der Roman auch noch das spirituelle Bild aufs Korn, das viele Menschen in Europa und Nordamerika von Indien haben. Es ist nur konsequent, dass sich auch damit Geld verdienen lässt. Rahul Raina schafft mit seinem Roman etwas ganz Eigenes und findet dabei meist die Balance zwischen scharfsinniger Sozialkritik, Action und Comedy. Mir wird dieses rasante Indien-Abenteuer auf jeden Fall im Gedächtnis bleiben.