Schnelle Hauptstadt-Hymne mit Corona-Flair

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
alasca Avatar

Von

In „Berlin Heat“, nach „Berlin Prepper“ Groschupfs zweiter Berlinroman, ist Corona vorbei und die Klimakatastrophe über Berlin bereits hereingebrochen. Ein unerträglich heißer Sommer, alles brodelt. Vor allem bei Tom Lonhoff, ein attraktiver Typ Mitte dreißig, der aus der Ich-Perspektive erzählt. Er ist ein spielsüchtiger Loser, der die Wohnungen seines Vaters an Partypeople aus aller Welt vermietet – inkl. Tipps zu Partyszene und Drogenbeschaffung. Toms Spielschulden liegen bei 12 000 Euro, sein albanischer Kreditgeber verliert die Geduld. Die Geldnot führt dazu, dass Tom in die vorgetäuschte Entführung eines rechtsextremen Politikers verwickelt wird. Er weiht seinen Vater ein – Ex-Polizist mit Verdacht auf Stasi-Vergangenheit – und ab da läuft alles komplett aus dem Ruder.

Die Sprache liest sich knapp und fetzig, dem Milieu und Personal angepasst, ohne sich an bestimmte Jargons anzubiedern. Der Sprachknaller ist die taffe Romina, Kriminalerin mit Roma-Wurzeln, Verhör-As und definitiv nicht auf die Berliner Schnauze gefallen – hab mich selten so amüsiert. Zur Hochform läuft der Autor auf, wenn er Berlin beschreibt, die eigentliche Heldin des Romans. Das klingt manchmal geradezu hymnisch; überhaupt, wenn er die Poesie der Hässlichkeit beschwört. Ich konnte es riechen, hören, sehen, leider auch schmecken … ganz wunderbar, Chapeau!

Thematisch packt Groschupf alles rein, was derzeit aktuell ist; das ist eindeutig zu viel für die 250 Seiten. Post-Corona, Klimakatastrophe, Medienmanipulation durch Rechtsextreme, Gentrifizierung, Wohnungsknappheit, AirBnB-Kritik, Drogen- und Partyszene – sogar Gauck, die Stasi und der Wendeopportunismus kriegen ein Löffelchen Fett weg. Für Tiefe reicht das nicht aus, alles wird nur angerissen; 50 Seiten mehr hätten da gut getan.

Groschupfs Personal bietet keine Identifikationsfigur. Toms Standing beschränkt sich auf die Fortpflanzungsorgane, und die beiden weiblichen Protagonistinnen bedienen etwas zu deutlich Männerphantasien, einmal in blond, einmal in schwarz. Rot hätte noch gefehlt.

Der Showdown heizt noch mal richtig ein und kommt so filmisch wie ein Drehbuch. Das Happy End könnte man auch als Horror-End lesen; Toms Metamorphose fand ich unwahrscheinlich, und was sein Vater bezweckte, bleibt unklar. Aber Plot und (menschliches) Personal war dem Autor wohl auch nicht so wichtig; was am Ende bleibt von diesem schnellen Stück Literatur ist: BERLIN. Das in diesem Roman genauso fiebrig dem Untergang entgegentaumelt wie vor hundert Jahren.

Trotz einiger Schwächen: Lesenswert!