Für mich leider enttäuschend

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singstar72 Avatar

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Ich war neugierig auf dieses Buch. Klappentext und Leseprobe versprachen einen erfrischend neuen und breit gefächerten Ansatz; „Berührung“ als wichtiges Element sowohl in der Menschheitsgeschichte, als auch in der individuellen Entwicklung des Einzelnen. Doch leider liegt meine abschließende Bewertung auf einem enttäuschten Niveau. Bekommen habe ich keinen breiten Überblick, sondern eine verkappte Eigenwerbung, die – als Buch! - unausgewogen gestaltet ist.

Die ersten zwei Kapitel waren noch lohnend. Hier wurde „Berührung“ tatsächlich als ein spannendes Forschungsfeld dargestellt, mit vielerlei Denkanstößen und Informationen. Es ging zum Beispiel um nonverbale Kommunikation, den Aufbau der Haut, Emotionen, Selbstwahrnehmung, und noch einiges mehr.

Doch dann kam der – viel zu breit geratene – Mittelteil, der das Thema plötzlich fast gänzlich auf den Aspekt der medizinischen Massage reduzierte. Über vier Kapitel hinweg ging es um nichts als Massage – selbstredend insbesondere diejenigen Formen, welche die beiden Autoren selbst entwickelt haben.

Die Nutzbarkeit für den allgemein interessierten Leser nahm hier stark ab – die Kapitel schienen sich eher an ein Fachpublikum zu richten. Es ging immer wieder darum, was wann und warum von den Krankenkassen bezahlt wird; es ging in aller Breite auch darum, wie wissenschaftliche Studien durchgeführt werden, und wie man sie beurteilt. Das dürfte an den allermeisten Lesern vorbei gehen, insofern sie keine Akademiker sind!

Auch war die Thematik in diesem Mittelteil nur unscharf abgegrenzt zu anderen Forschungsgebieten. Muss ich als Leser eines vorgeblichen Sachbuches über „Berührung“ wirklich wissen, was psychiatrische Störungen sind? Oder welche Symptome die Depression kennzeichnen? Ich denke, nein! Reines Füllmaterial…?

Auf der anderen Seite – für ein Buch über Massage war es dann wieder zu überblicksartig und gedrängt. Mir ist jedenfalls nicht klar geworden, was nun im Einzelnen die Unterschiede sind zwischen schwedischer, kalifornischer, Esalen-Massage, Vasana, Rolfing, Slow Stroke und Therapeutic Touch, um nur ein paar zu nennen. Hier dachte ich oft, der Titel des ganzen Buches sei falsch gewählt. „Führer durch die internationale Massage-Landschaft“, das wäre treffender gewesen.

Geärgert hat mich auch der ständige Unterton, „wir haben dies“ und „wir haben jenes“, „wird ja leider von der Kasse nicht bezahlt“, und so fort. Hier roch es eben wie weiter oben erwähnt deutlich nach Eigenwerbung.

Sehr, sehr schade – nämlich lieblos – gestaltete sich dann der Umgang mit den letzten zwei Kapiteln. Auf die Bereiche „Erotik“ und „kulturelle Unterschiede“ hatte ich mich besonders gefreut. Doch was bekam ich…? Im Kapitel zu „Erotik“ lediglich ein Interview mit einer Masseurin, und eine mehr als oberflächliche Geschichte, nein mehr ein Märchen, über ein Pärchen, das ein Tantra-Seminar besucht. Ich will doch nichts über das Berufsbild oder das Selbstverständnis einer Masseurin wissen! Sondern über die konkrete Rolle der Berührung in der Erotik! Ich fühlte mich dann speziell mit der Geschichte, dem Märchen, als Leser nicht ernst genommen, sondern abgespeist. Zumal ich noch anzumerken hätte, dass mache Aspekte über das Tantra, speziell aus buddhistischer Sicht, schlicht falsch dargestellt worden sind. Mahayana und Vajrayana sind nicht (!) dasselbe! Und Vajrayana ist nicht (!) „nur“ Tantra! Ja, dass es das alles gibt, und dass es die Paarbeziehung beleben kann, wusste ich auch schon vorher…
Vollends enttäuscht war ich vom letzten Kapitel über Kultur und Religion. Das war so allgemein und ungefähr gehalten, dass man es sich auch hätte sparen können. Da stand nun wirklich nichts, das ich nicht schon gewusst hätte.

Noch zwei Anmerkungen. Auf dem Umschlag des Buches steht vollmundig „mit großem Praxisteil“. Groß…? Nun ja, es ist ein Kapitel. Hier sind eine Reihe von Übungen aufgeführt. Aber: teilweise wiederholen sie sich in der Formulierung, teilweise haben sie – aus meiner Sicht – nur am Rande mit Berührung zu tun. Zwei oder drei kenne ich fast wortwörtlich als Meditationsanleitung, und nicht etwa aus der Körperarbeit oder der Selbsterfahrung…

Ich hatte mich ausserdem sehr auf die zwei Identifikationsfiguren Noah und Maria gefreut. Doch leider tauchen sie nur am Rande auf, im ganzen Mittelteil zum Beispiel überhaupt nicht! Und wenn, dann sind sie sehr kindlich geraten, mit wenig wirklich illustrierender Funktion.

Ich will nun den beiden Autoren ihre Kenntnisse in puncto Massage keineswegs absprechen. Aber man merkt dem Buch „als Buch“ einfach an, dass es nicht von zwei Autoren für Leser geschrieben wurde, sondern von Akademikern mit Eigeninteressen. Dafür spricht auch die überwältigende Länge des Teils mit Anmerkungen und Fußnoten – gut und gerne 20 (!) Seiten, die einen förmlich erschlagen. Das gehört so vielleicht in eine Dissertation, aber nicht in ein Sachbuch für die Allgemeinheit.

Nein, ich mag nicht mehr als zwei Sterne geben, was angesichts meiner hohen Erwartungen wirklich schade ist.