Leben in Besserland

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Es ist die Zeit der Perestroika, die Zeit Michail Gorbatschows, die Zeit der großen Umbrüche, die Achtziger Jahre.

Die jüdische Familie Friedmann schaut in Weißrussland voller Staunen, aber auch mit beherzter Entschlossenheit auf die neuen Verhältnisse in der Sowjetunion. Auch davor wurde schon so manches krumme Ding gedreht in Vaters Malerbrigade, man muss schließlich sehen, wo man selbst und die Familie bleibt in der Mangelwirtschaft, nun gründet man einen eigenen kleinen Betrieb. Doch wer weiß, wie lange diese Öffnung zur Marktwirtschaft, dieser Wind der Freiheit andauern wird?
So ergreift Vater Edik die Chance und plant die Ausreise nach Amerika. Kind und Kegel werden eingepackt, Abschied von der turbulenten Großfamilie genommen und zusammen mit Bekannten der Zug nach Westen bestiegen.
Die Reise führt schließlich nur nach Deutschland, aber auch hier scheint dieses vom Vater versprochene Besserland zu liegen.
Und so fasst die Familie langsam, mit Schwierigkeiten, aber doch mit großem Optimismus und zupackendem Pragmatismus Fuß in der neuen Heimat.

Erzählt wird die Geschichte von der kleinen Tochter, und die Autorin Alexandra Friedmann hat damit ganz sicher ein Kapitel ihrer eigenen Familiengeschichte nacherzählt, auch wenn das Buch die Bezeichnung Roman trägt.
Diese Kinderperspektive verleiht ihm sicher auch den verblüffend leichten, humorvollen Ton und die positive Haltung den meisten, auch den weniger schönen Begebenheiten des Lebens und der Auswanderung gegenüber. Selten wird über irgendetwas gejammert, Missstände lakonisch geschildert. Wie z.B. die antijüdische Haltung in der Sowjetunion.

"Doch leider galten zu dieser Zeit jüdische Zahnärzte als ideologische Bedrohung. Man sagte ihnen nach, dass sie ihren Patienten anstelle von Watte antisozialistisches Gedankengut in den Mund zu legen pflegten. Ranja bekam keinen Studienplatz."

Auch in der neuen Heimat ändert sich dies nicht. Eigentlich alles andere als lustig, aber köstlich geschildert wird da, wie die ganze Familie samt Kleinkind und Oma aus Unwissenheit auf dem Weg zu einem Supermarkt die Autobahn überquert.

Der Ton ist in diesem typischen melancholischen Witz verfasst, der mich sehr an eine andere deutsche Autorin mit ähnlichem familiärem Hintergrund erinnerte, Lena Gorelik. Nie geht die Tragik des Lebens verloren, aber es wird mit Witz und Entschiedenheit dagegen angegangen. Familie und Freundschaften, Bindungen allgemein spielen da eine große, rettende, wenn auch nicht immer problemlose Rolle.

Und so findet auch die Familie Friedmann ihren Platz in Besserland.

" "Da hat man alle Informationen der westlichen Welt in diesem Kasten, und versteht kein Wort", sagte Mama trocken. "Dabei sind wir schon fast zwei Monate hier. Ob wir es jemals lernen?" fragte mein Vater das Radio. Das Radio antwortete auf Deutsch. "Guten Tag", sagte das Radio. Das hatten meine Eltern verstanden. Plötzlich tauchte die Hoffnung in der Tür unseres Kommunalhäuschens auf, bat sich selbst herein und setzte sich der Hilflosigkeit dreist auf den Schoß."

Es ist diese Warmherzigkeit und dieser Humor, die dennoch nie die dahinterstehende Tragik ganz zudecken, die die Lektüre dieses Debütromans so lohnend machen.