Eine Herausforderung

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martinabade Avatar

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Carolina Setterwall macht die Leser*innen anfangs in zwei verschiedenen Erzählsträngen mit Carolina, der Ich-Erzählerin, deren Lebensgefährten Aksel und deren gemeinsamen Sohn Ivan bekannt. Der Gedanke, dass es sich hier um eine Autofiktion handelt, liegt nahe. Das erklärt auch die tagebuchartige Struktur und Alltagssprache in großen Teilen des Textes.

Auf einer Zeitschiene lernen Carolina und Aksel sich auf einem Fest kennen, und es gibt den sprichwörtlichen Funken. Die Beziehung der beiden entwickelt sich wie im Fieber, auch wenn Aksel manchmal ohne weitere Erklärungen für einen gewissen Abstand sorgt. Nur wenige Jahre später, im parallel erzählten Text, sind die beiden ein Paar und haben einen acht Monate alten Sohn. Beide sind gestresst. Das Baby, die Arbeit, ein Umzug. Und dann ist Aksel eines Morgens plötzlich tot. Kein Suizid, keine Gewalt, kein Unfall. Einfach - eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht. Und nach dem Nebel des Schocks stellt sich die Frage. Wie kann Carolina mit dieser Situation umgehen?

In Kritiken über dieses Buch wird stark auf den Tod Aksels und Carolinas Umgang mit dieser Situation fokussiert. Rückt man in der Betrachtung jedoch ein Stück vom Text ab, ergeben sich zahlreiche andere Facetten der Hauptfigur. Nicht nur Carolina, die Witwe und alleinerziehende Mutter. Es gibt auch Carolina, die Kollegin, die Freundin, die Liebhaberin, die Lebensgefährtin, die Wütende, die Neidische, die Ungerechte, die Depressive, die Patientin. Alle anderen Figuren scharen sich um sie und ihr Leben wie Statisterie. Sie bleiben im Buch unscharf, die wenigsten haben Namen sondern nur Funktionen. So können Leser*innen einen Schutzabstand für sich zu den Ereignissen aufbauen.

Handlung und Text haben zu Beginn ein rasantes Tempo, leben aber vor allem von der genauen Beobachtungsgabe und der schonungslosen Offenheit der Ich-Erzählerin den Leser*innen gegenüber. Setterwall lässt uns an jedem Gedanken, jedem emotionalen Zustand Carolinas teilhaben, bis in das letzte, schmerzhafte Detail.

Anders als viele Kritiker*innen, die von einer „literarischer Sensation“ etc. berichten, kann ich dies nicht feststellen. Setterwall erzählt sprachlich unprätentiös und direkt. Für wahre Literatur gibt es zu wenig Essenz auf der Metaebene, zu wenig Reflektion auf das große Ganze im Buch. Was weder kritikwürdig noch nachteilig für die Leser*innen ist! Vielleicht sind 450 Seiten Unglück, Tränen und Selbstzweifel nur so zu ertragen?!?

Fazit: Lesenswert, aber nur lesbar, wenn Ihr selbst gerade gute Nerven habt; nix für den Strand.