Sachlich-hochemotional geschilderte Seeleneinblicke

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stoepfel Avatar

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Über vorablesen.de hatte ich die Möglichkeit, dieses Buch bereits vor Erscheinen zu lesen. Danke für die Möglichkeit.
Was passiert, ist schnell klar. Erst kommt eine Mail, die die Protagonistin verstört und verschreckt. Das Szenario „Falls“ tritt knapp 6 Monate später tatsächlich ein. Das Buch ist ein Blick in den Abgrund, der sich vor jeder oder jedem von uns täglich auftun kann. Ein schonungsloser Blick.
Im ganzen Buch gibt es trotz hunderter Menschen, die auftauchen, und vieler Menschen, die zum engeren Kreis der Protagonistin Carolina gehören, nur Aksel und Ivan, die uns namentlich bekannt werden. Eine seltsame Anonymität und Gleichheit, fast Beliebigkeit der anderen. Sie werden „sortiert“ in ihre Funktionen (Mutter/Freundin/Kollegin).
Außerdem erinnert das ganze Buch an einen Brief, den Aksel erhalten könnte, er wird immer wieder mit „du“ angesprochen – ist dadurch auch sprachlich anders definiert als alle anderen, die noch da sind. Er ist es, um den sich scheinbar alles dreht, der weiter bestimmt, an dem sich alles Nachher messen muss. Er und der Sohn Ivan.
Zunächst liest man parallel die Geschichte einer beginnenden Beziehung und die Geschichte einer Katastrophe, bis der/die Leser*in zum Schluss nur noch das Jetzt verfolgt. Dabei wechseln die Zeitformen, wobei insbesondere das Präsens besonders viel Präsenz von Gefühlen zulässt. Dabei wirkt das Buch dennoch seltsam sachlich, es stellt Seelenzustände fest, ohne zu jammern, und auch, ohne zu nerven oder zu langweilen. 400 tatsächlich immer fesselnde Seiten. Man darf Carolina auf ihrem Weg zurück in „ihr“ Leben begleiten, das an jenem Tag im Oktober so abrupt und so sehr aus der Bahn geriet, wie es nur aus der Bahn geraten kann. Sie legt dabei knallhart alle Gefühle der Protagonistin klar. Auch unangenehme, ungerechte. Bei einem autofiktionalen Roman liegt die Vermutung nahe, dass die Autorin das so gut kann, weil sie diese Gefühle so gut kennt und das zollt dann umso mehr Respekt, sich selbst derart zu offenbaren.
Ein Buch, das aufwühlt, und manchmal auch ganz verstohlen dankbar macht für die persönliche alltägliche Normalität. Ein Buch, das kein Happy End bietet und dennoch ein gutes Ende hat. Ein Buch, das Trauern erlebbar macht.