Einen alten Baum verpflanzt man nicht

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
daphne1962 Avatar

Von

"Bäume haben etwas Wesentliches gelernt: Nur wer einen festen
Stand hat und trotzdem beweglich ist, überlebt die starken Stürme."
(Anke Maggauer-Kirsche/Lyrikerin)

Allerdings sieht das bei den betrunkenen Bäume etwas anders aus. Sie sind eine Folge der Erderwärmung. Wo vorher gefrorener Boden war, dieser aber aufgeweicht wurde durch die Erwärmung verursacht durch Treibgase und anderen Umwelteinflüssen, haben diese Bäume dort in ihrem Lebensraum keine Standfestigkeit mehr. Sie werden schief und krumm und schwanken wie betrunken.

Erich muss mit seinen über 80 Jahren erfahren, wie er so langsam seine Unabhängigkeit verliert. Dabei braucht sein veritabler "Wald" ihn so dringend, dieser ist etwa wie sein "Kind" geworden um das man sich kümmern muss. In seiner Wohnung hat er ihn angelegt. Er liebt seinen Wald, ohne den Geruch der Bäume kann er nicht schlafen. Das muss er aber vor seiner Tochter verheimlichen. Sonst steckt sie ihn in ein Heim. Seine Frau Dascha vermisst er sehr.

Katharina vermisst auch jemanden, ihren Vater, der zum Arbeiten nach Sibirien geflüchtet ist. Ihr Familienleben ist auseinander gebrochen, er war ihr Halt. Sie haut von zu Hause ab, schwänzt die Schule und kriecht in einer leeren Wohnung unter. Dort begegnet sie dem alten Erich, mit dem sie sich anfreundet und ihm hilft in seiner immer größer werdenden Hilflosigkeit zurechtzukommen.

Erich war mal Forscher in jungen Jahren und hat eine Art Expedition in der Taiga unternommen. Ohne Wolodja, einem obdachlosen Überlebenskämpfer wäre er verloren gewesen. Wolodja kennt den riesigen Wald und die Einsamkeit, in der man dort verschwinden kann.

Der Ullstein-Verlag hat, wie ich finde, ein kleines Juwel veröffentlicht. Bücher brauchen nicht dick sein, auf 268 Seiten kann man sehr gut eine Geschichte um Menschen, die sich normalerweise nie begegnet wären, erzählen. Wenn der Leser genug Spielraum zum selbst denken bekommt und überlegen muss, was mal passiert ist, dann gibt einem die Autorin auch schon den nächsten Gedankengang und man vervollständigt das noch fehlende Bild. Ich habe mich sehr wohl gefühlt in dieser Geschichte, die auch zu Herzen geht. Die Protagonisten wachsen einem ans Herz, man kann sich in ihr Leben sehr gut hineinversetzen. Die eigene Vergänglichkeit wird dem Leser hier sehr bewusst.

Die Biografie der Autorin Ada Dorian hatte mich zunächst auf das Buch aufmerksam gemacht. Ich bin froh, es gelesen zu haben und kann es nur jedem Leser ans Herz legen.