Mein tägliches Twix gib mir heute nicht!

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elke seifried Avatar

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Der 101 kg schwere, sechzehnjährige Bert liebt Günther Jauch und seine Süßigkeiten-Dealerin Frau Wegener, die Kioskbesitzerin, deren Umsatz er durch seine Einkäufe gehörig in die Höhe treibt. Seine Mutter liebt er auch, aber er ist gehörig genervt, als sie mit einem neuen Liebhaber daherkommt und diesen schon wieder deftig bekocht. Er beschließt spontan das Geld für den Schulausflug für Diätpillen auszugeben. Aber weder die Diätpillen bleiben ihm, noch kommt er um den ollen Ausflug herum. Eigentlich zum Glück, denn nur so erfährt er von einer Maskottchen Agentur. Sich in einem Kostüm verstecken und dabei noch Geld verdienen, die Idee gefällt ihm. Nach ersten kläglichen Versuchen im Kostüm eines ausrangierten EssoTigers, bringt er auf dem Heimweg von einem Einsatz durch Zufall eine Diebesbande zu Fall und katapultiert sich damit auf die Titelseite der Tagezeitung. Damit beginnt seine steile Karriere als Billy the Beast, dem neuen Maskottchen der Ice Tigers. Und das allerbeste daran - „ Man schlüpft in einen Tiger, schwitzt da drin wie ein Schwein und kommt irgendwann so schlank raus, wie ´ne Gazelle“. Oder liegt das Purzeln der Pfunde auch daran, dass er sich verliebt hat?

So wie sich Bert seine Verkleidung überwirft, darf man als Leser in Bert hineinschlüpfen. Man begleitet ihn bei zahlreichen Maskottcheneinsätzen. Hier sind viele Pannen, Niederlagen, Demütigungen, große Erfolge und auch einige ganz besonders delikate Auftritte inbegriffen, die einen ganz oft schmunzeln lassen. Man begleitet Bert aber auch in die Schule, darf dort z.B. Mobbingattacken hautnah miterleben oder mit ihm gemeinsam vor dem TV sitzen und bei „Wer wird Millionär“ mitraten. Auch das Familienleben, mit Enttäuschungen, Geburtstagsfesten und schönen Momenten gehört natürlich mit dazu. Man erlebt seine Verwandlung richtig mit, was mir super gut gefallen hat.

Der spritzige Sprachstil des Autors liest sich locker, flockig und ich bin fast durch die Seiten geflogen, meist mit einem steten Dauergrinsen im Gesicht. Bert berichtet aus der Ich-Perspektive, was ihn dem Leser sehr nahe sein lässt. Ich konnte mich von Anfang bis Ende super gut in ihn hineinversetzen. Ich habe mit ihm gelitten, nicht nur unter den Mobbingattacken seiner Mitschüler, oder bei den Enttäuschungen, die ihm seine Eltern bereitet haben. Ich habe mich mit ihm gefreut, als die ersten Pfunde purzelten und ich habe mit ihm gehofft, als er wieder in ein Tief geriet. Ich habe mit und auch über ihn geschmunzelt, wenn er mit seiner herrlich selbstironischen Art von Pannen und Fettnäpfchen berichtet. So kann er z.B. beim stundenlangen Unterschreiben von Autogrammkarten wenigstens hoffen, dass die Hundearbeit vielleicht seine Wurstfinger zum Schmelzen bringt, nötig hätten sie es ja. Auch das Vater Unser wird von ihm schon mal umgedichtet, sodass das elektronische Ziffernblatt geheiligt wird und das Wunschgewicht möge nicht erst im Himmel, sondern bereits auf Erden, kommen. Gut fand ich auch die zahlreichen witzigen Vergleiche. „Frauen um die Fünfzig, die aussahen, als seien sie in einem Sonnenstudio ins Koma gefallen und als hätte währenddessen jemand ihre Haare gebleicht und ihr Fingernägel in Tierblut getränkt“ ist nur ein Beispiel dafür.

Mir hat sehr gut gefallen, dass es dem Autor gelingt ernsthafte Themen locker und unterhaltsam zu behandeln, ohne dass der Eindruck von Respektlosigkeit entsteht. Mobbing von übergewichtigen Schülern wird sehr authentisch geschildert. Gelungen finde ich auch das Auf und Ab mit den Pfunden, die Ursachen davon und die Phasen einer Diät dargestellt. Schön finde ich, dass auch das Gegenteil, der Diätwahn etwa bei Balletttänzerinnen, die kein Gramm zunehmen dürfen, zur Sprache kommt, denn auch das ist kein Zuckerschlecken. Familiäre Probleme, die durch die Trennung von Eltern entstehen, mögen hier vielleicht stellenweise etwas überzeichnet sein, sind aber bis auf den großen Familiengeburtstag vielleicht, gar nicht so weit vom wirklichen Leben entfernt.

Da ich selbst ein Fan von Günther Jauch und seiner Kultsendung bin, war ich begeistert, wie toll hier Quizfragen in den Verlauf der Geschichte eingebunden werden.

Die Charaktere sind überzeugend gezeichnet. Ich habe Bert richtiggehend gelebt. Er war mir von Anfang an super sympathisch und er ist ein richtig pfundig, toller Kerl. Sich ein dickes Fell zulegen, an dem alles abprallt, durch eine Verkleidung unabhängig von der Figur wahrgenommen werden, sich mit Süßigkeiten trösten, sich verlieben, sich nach einer intakten Familie sehnen, ganz klar, dass er davon träumt. Die Mutter hat mich enttäuscht, aber sie hat mir auch leid getan. Von Berts Vater gegen eine Jüngere ausgetauscht, sucht sie händeringend nach Bestätigung und gerät dabei nicht nur an die falschen Männer, sondern auch an deutlich zu viel Alkohol. Keine Sympathiepunkte hat Bers Vater bei mir gesammelt. Ich hätte ihm Gift geben können, als er Bert zufällig in der Opas Potthucke, dem Lokal mit der fettig, deftigen Küche, beim Salatessen trifft und seinem schwer übergewichtigen Sohnemann mit den Worten „Sag bloß du machst ne Diät?“ eine gehörige Portion Potthucke bestellt. Auch die Mutter ist wohl an Berts Übergewicht nicht ganz unschuldig, bringt sie ihm doch abends noch zu gern eine Tafel Ritter Sport ans Bett, bekocht ihn mit der deftigen Küche und ist erst glücklich, wenn der Teller leer ist. Nach der Buchbeschreibung habe ich mir erwartet, dass Lilly, die äußerst sympathische Cheerleaderin, in die Bert sich verliebt, eine größere Rolle einnimmt. Aber sie ist eher Nebendarsteller, wie zahlreiche andere, die gelungen dargestellt sind. Sehr gefreut hat mich, dass TOM, die drei Jungs, die ihm das Leben in der Schule zur Hölle machen, letztendlich noch eine Abreibung bekommen, da war ich auch „zeitweise vom Mitgefühl“ befreit.

Alles in allem ein witziger Jugendroman, der die Probleme eines schwergewichtigen, aber äußerst liebenswerten Jungen, wenn auch stellenweise vielleicht etwas überzeichnet, authentisch, witzig und mitreißend schildert und daher meiner Meinung nach noch 5 Sterne verdient.