Spannende Reise in die Vergangenheit

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Die Geschichte, die Christian Schünemann in seinem neuen Buch „Bis die Sonne scheint“ erzählt, führt uns zurück in die frühen 1980er Jahre – in die Zeit der Seitenscheitel und der gestreiften Pullunder. Der Protagonist hat einen Architekten zum Vater, der zum Vertreter von Wasserfiltern wird, und eine Verkäuferin zur Mutter. In einer spannenden Zeitreise geht es in die Ära des Waldsterbens und der Nachrüstung, des Ford Capri und der BAföG-Reform, im Fernsehen laufen Hans-Joachim Kulenkampff und Hans Rosenthal, musikalisch sind Depeche Mode, Culture Club und Spandau Ballet angesagt. Der Tante-Emma-Laden wird von Asbach-Uralt-Werbung dominiert. Auf der politischen Bühne kommt ein neuer Kanzler ins Amt, seine neue Regierung kündigt eine geistig-moralische Wende an.
Unter der Oberfläche aber brodelt es. Mit der eigenen Familie in der niedersächsischen Provinz geht es bergab – zufällig überhört der Erzähler ein Gespräch zwischen seinen Eltern, aus dem hervorgeht, dass die Familie vor dem Ruin steht. Die Eltern wissen nicht, wie sie ihre sechsköpfige Familie ernähren sollen. Trotzdem wahren sie den Schein – auch dann noch, als der Gerichtsvollzieher vor der Türe steht. Das Sparschwein auf dem Gewürzregal ist schon lange geplündert, auf dem Postsparbuch beträgt das Restguthaben weniger als drei Mark. Nachdem der Gerichtsvollzieher in der Wohnung seine Kuckuck-Aufkleber verteilt hat, geht die Familie groß essen. Und während das Haus ausgeräumt wird, macht die Familie eine Spritztour an die französische Mittelmeerküste. Der Schein will ja schließlich gewahrt bleiben. Damit steht die Familie Hormann, die Schünemann in seinem Buch vorstellt, für so viele ähnliche oder identische Familien.
Der gebürtige Bremer und heute in Berlin lebende Schünemann zeichnet seine Charaktere in knappen, aber deutlichen Strichen. In lakonischer Manier schildert er prägnante Alltagsszenen. Für Leser/innen, die die damalige Zeit konkret miterlebt haben, ist das Buch eine wunderbare Zeitreise, bei der zahlreiche Kindheits- und Jugenderinnerungen lebendig werden. Entstanden ist somit eine bunte und vielfältige Kulturgeschichte der Bundesrepublik. Indem Schünemann die verschiedenen Zeitepochen, zu denen die Handlung spielt (die Gegenwart der frühen 1980er Jahre sowie die Phasen während und nach dem Krieg), geschickt miteinander verwebt, entsteht ein perspektivenreiches Panorama des Nachkriegsdeutschland. Die Familiengeschichte wird vor dem Hintergrund der großen zeithistorischen Ereignisse präsentiert: der Zweite Weltkrieg, die Flucht nach Bremen, der anschließende Wiederaufbau, die „goldenen“ 70er Jahre und schließlich die erwähnte Gegenwart. Unbedingte Empfehlung für alle, die zurück in die Vergangenheit möchten – und sich dabei großartig unterhalten lassen möchten.