Von Überlebenskünstlern, die zu oft falsch abbiegen
Den 14-jährigen Daniel Hormann plagen 1983 in der niedersächsischen Provinz die zu dieser Zeit normalen Probleme eines Jugendlichen: Hoffentlich wird die Konfirmation ein voller Erfolg und hoffentlich ist das blaue Samtsakko nicht zu teuer für diesen besonderen Anlass. Wie viele Tage sind es eigentlich noch bis zur Schüleraustausch-Reise nach Frankreich, zu Jean-Philippe, dem innigst bewunderten Austauschpartner? Und wann kann seine beste Freundin Zoe endlich wieder mit der Rückkehr ihrer depressiven Mutter rechnen? Doch als er eines Nachts die Eltern dabei belauscht, als diese offen über ihre bevorstehende Pleite reden, ändert sich schlagartig alles. Denn auf dem Spiel steht nicht weniger als die Existenz der Familie...
"Bis die Sonne scheint" ist der neue Roman von Christian Schünemann, der bei Diogenes erschienen ist. Schünemann, der bisher vor allem als Autor diverser Krimireihen in Erscheinung getreten ist, wechselt also ins Literatur-Genre, was ihm gut zu Gesicht steht. Die Ausgangssituation der von der Insolvenz bedrohten Provinzfamilie in den 80er-Jahren erinnert zunächst einmal natürlich frappierend an Arno Franks Debüt "So, und jetzt kommst du" von 2017. Auch Frankreich und Ausreisepläne generell finden sich in "Bis die Sonne scheint" wieder. Doch Schünemann macht aus dieser ebenfalls autofiktionalen Geschichte trotzdem etwas ganz Eigenes, was vor allem an der Erzählstruktur, aber auch an den Figuren liegt.
Anders als bei Arno Frank werden Daniels Eltern Siegfried und Marlene nämlich niemals kriminell, sie drohen nicht einmal annähernd in diesen Bereich abzudriften oder gar die Kinder zu instrumentalisieren. Letztlich sind sie Überlebenskünstlerinnen, Unangepasste, die sich den Konventionen der normalen Berufswelt aus unterschiedlichen Gründen nie hingeben wollten oder konnten. Ob Strickwarengeschäft oder Massivhausbau - was anfangs zu florieren schien, passte irgendwann einfach nicht mehr. Oder auch: An den wichtigen Kreuzungen des Lebens sind sie einfach zu oft falsch abgebogen.
Überraschend an "Bis die Sonne scheint" ist, dass es sich dabei nicht um den von mir erwarteten typischen Coming-of-Age-Roman handelt. Zwar ist Ich-Erzähler Daniel, dessen Name erstmals übrigens nach mehr als 100 Seiten erwähnt wird, der Protagonist des Buches, doch dreht sich etwa ein Drittel des Romans gar nicht um die Handlungszeit der 80er-Jahre und damit auch nicht um ihn. Denn Schünemann greift zu einem ganz besonderen erzählerischen Kniff, den er zudem auch sprachlich hervorragend einleitet: Die Rückreise der Oma in die nahe gelegene Stadt Bremen lässt er gedanklich nämlich einfach weiterfließen - und prompt befindet sich die Leserschaft in Oberschlesien irgendwann zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In der Folge wechseln sich die erzählerische Gegenwart um Daniel und die Familiengeschichte der Vergangenheit mit großer Regelmäßigkeit ab. Das Besondere daran ist, dass sich einige Geschehnisse der Gegenwart erst viel später durch die Vergangenheitsepisoden erklären lassen. Dies hat zwar ein paar Nachteile, in der Gesamtheit tut es dem Buch schlussendlich aber richtig gut.
Der Nachteil ist, dass der Erzählfluss durch den ständigen Wechsel der Zeiten und die durchaus langen Episoden aus der Vergangenheit hin und wieder merklich gestört wird. So wirken die Kapitel bisweilen wie Anekdoten und zu Daniel, diesem Jungen, der Rondo Veneziano und Johannes Mario Simmel liebt, findet man gar keinen rechten Zugang. Außerdem wundert man sich zunächst über bestimmte Ereignisse und fragt sich, ob man etwas verpasst hat. Figuren der Gegenwart, wie die Geschwister Daniels, bleiben merkwürdig blass. Doch wie diese beiden großen Erzählstränge im Finale aufeinandertreffen, ist wahrlich große Kunst. Denn je stärker man sich dem Ende des Romans nähert, desto größer wird die Empathie für die Figuren. Man liest beispielsweise über neue glückliche Pläne und weiß schon, dass auch diese scheitern werden. Das fand ich herzzerreißend traurig. Nehme ich wie jetzt das Buch wieder zur Hand, überfällt mich eine große Sympathie für die Figuren - und damit auch letztlich für den Autoren Christian Schünemann, der in einem berührenden Nachwort seine Beweggründe für das Schreiben des Romans noch einmal näher erläutert.
Insgesamt ist "Bis die Sonne scheint" ein warmherziger Familienroman, der trotz oder vielleicht gerade wegen seiner gewissen erzählerischen Sperrigkeit vieles richtig macht und gerade im Finale wohl niemanden unberührt lassen wird. Da Schünemann auch Drehbuchautor ist, könnte ich mir auch eine filmische Umsetzung wunderbar vorstellen.
"Bis die Sonne scheint" ist der neue Roman von Christian Schünemann, der bei Diogenes erschienen ist. Schünemann, der bisher vor allem als Autor diverser Krimireihen in Erscheinung getreten ist, wechselt also ins Literatur-Genre, was ihm gut zu Gesicht steht. Die Ausgangssituation der von der Insolvenz bedrohten Provinzfamilie in den 80er-Jahren erinnert zunächst einmal natürlich frappierend an Arno Franks Debüt "So, und jetzt kommst du" von 2017. Auch Frankreich und Ausreisepläne generell finden sich in "Bis die Sonne scheint" wieder. Doch Schünemann macht aus dieser ebenfalls autofiktionalen Geschichte trotzdem etwas ganz Eigenes, was vor allem an der Erzählstruktur, aber auch an den Figuren liegt.
Anders als bei Arno Frank werden Daniels Eltern Siegfried und Marlene nämlich niemals kriminell, sie drohen nicht einmal annähernd in diesen Bereich abzudriften oder gar die Kinder zu instrumentalisieren. Letztlich sind sie Überlebenskünstlerinnen, Unangepasste, die sich den Konventionen der normalen Berufswelt aus unterschiedlichen Gründen nie hingeben wollten oder konnten. Ob Strickwarengeschäft oder Massivhausbau - was anfangs zu florieren schien, passte irgendwann einfach nicht mehr. Oder auch: An den wichtigen Kreuzungen des Lebens sind sie einfach zu oft falsch abgebogen.
Überraschend an "Bis die Sonne scheint" ist, dass es sich dabei nicht um den von mir erwarteten typischen Coming-of-Age-Roman handelt. Zwar ist Ich-Erzähler Daniel, dessen Name erstmals übrigens nach mehr als 100 Seiten erwähnt wird, der Protagonist des Buches, doch dreht sich etwa ein Drittel des Romans gar nicht um die Handlungszeit der 80er-Jahre und damit auch nicht um ihn. Denn Schünemann greift zu einem ganz besonderen erzählerischen Kniff, den er zudem auch sprachlich hervorragend einleitet: Die Rückreise der Oma in die nahe gelegene Stadt Bremen lässt er gedanklich nämlich einfach weiterfließen - und prompt befindet sich die Leserschaft in Oberschlesien irgendwann zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In der Folge wechseln sich die erzählerische Gegenwart um Daniel und die Familiengeschichte der Vergangenheit mit großer Regelmäßigkeit ab. Das Besondere daran ist, dass sich einige Geschehnisse der Gegenwart erst viel später durch die Vergangenheitsepisoden erklären lassen. Dies hat zwar ein paar Nachteile, in der Gesamtheit tut es dem Buch schlussendlich aber richtig gut.
Der Nachteil ist, dass der Erzählfluss durch den ständigen Wechsel der Zeiten und die durchaus langen Episoden aus der Vergangenheit hin und wieder merklich gestört wird. So wirken die Kapitel bisweilen wie Anekdoten und zu Daniel, diesem Jungen, der Rondo Veneziano und Johannes Mario Simmel liebt, findet man gar keinen rechten Zugang. Außerdem wundert man sich zunächst über bestimmte Ereignisse und fragt sich, ob man etwas verpasst hat. Figuren der Gegenwart, wie die Geschwister Daniels, bleiben merkwürdig blass. Doch wie diese beiden großen Erzählstränge im Finale aufeinandertreffen, ist wahrlich große Kunst. Denn je stärker man sich dem Ende des Romans nähert, desto größer wird die Empathie für die Figuren. Man liest beispielsweise über neue glückliche Pläne und weiß schon, dass auch diese scheitern werden. Das fand ich herzzerreißend traurig. Nehme ich wie jetzt das Buch wieder zur Hand, überfällt mich eine große Sympathie für die Figuren - und damit auch letztlich für den Autoren Christian Schünemann, der in einem berührenden Nachwort seine Beweggründe für das Schreiben des Romans noch einmal näher erläutert.
Insgesamt ist "Bis die Sonne scheint" ein warmherziger Familienroman, der trotz oder vielleicht gerade wegen seiner gewissen erzählerischen Sperrigkeit vieles richtig macht und gerade im Finale wohl niemanden unberührt lassen wird. Da Schünemann auch Drehbuchautor ist, könnte ich mir auch eine filmische Umsetzung wunderbar vorstellen.