Die verlorenen Kinder

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joberlin Avatar

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Wir sind im letzten Kriegsjahr. Die Amerikaner sind bereits in Europa. Österreich. Innsbruck.

Mich hat überrascht, dass auch im Dezember 1944 in der Bevölkerung die Hitlergefolgschaft ungebrochen war. " Doch die große Mehrzahl der Tiroler stand nicht auf Seiten der Alliierten. In Innsbruck waren die Bürger für die Nazis eingestellt." So konnte man sich offensichtlich ein Verlieren des Krieges und eine dauerhafte Besatzung durch die Alliierten gar nicht vorstellen. Gräueltaten der Nazis dürften selbst zu diesem Zeitpunkt kein wesentliches Thema gewesen sein. Und schon gar nicht kreisten die Sorgen der Bevölkerung um entführte und dann zwangsadoptierte Kinder, nichts wollte man wissen von Konzentrationslagern und Sippenhaft. Wen dieses Schicksal traf, wer dorthin gebracht wurde, der wird es wohl schon verdient haben. Widerstandsgruppen wurden von der Bevölkerung auch so kurz vor Ende des Krieges nicht unterstützt, sondern gnadenlos verraten.

Catherine Bailey präsentiert hier einen interessant geschriebenen Bereich deutscher Geschichte, mich dem ich mich gerne näher beschäftigen möchte. Die Leseprobe ist flüssig geschrieben und liest sich gut. Auf Wikipedia habe ich einige Vorabinfo zur Familie von Hassel zusätzlich zum Prolog gelesen, und dann war ich bereits nach wenigen Seiten "sehr im Buch", das heißt sehr involviert in die Geschichte und um unsere Geschichte, unsere Vergangenheit geht es ja hier.

Gruselig die Anfahrt zum Kloster in Hall, 98% der Anwohner hier sind Parteimitglieder, es geht zum Waisenhaus, hierher werden die gekidnappten Kinder zunächst gebracht. Wir wissen nun natürlich, dass es sich um die beiden Söhne der Fey von Hassel handelt, ihr Vater, der Widerstandskämpfer Ulrich von Hassel, ist zu diesem Zeitpunkt längst hingerichtet. Nun ist die weitere Familie, sind Kinder und Enkel im Visier der Nazi-Schergen. Und während die Ortsbewohner annehmen, dass es sich um Kinder von Kriminellen handelt, fallen die Jungs durch Fremdsprachenkenntnisse und gute Manieren auf. Kommen Sie doch aus einem guten, einem großbürgerlichen Haushalt?

Das Buch ist mit einem Fototeil ausgestattet, das das Szenario und die handelnden Personen noch lebendiger werden lässt. Diese Fotos laden schon jetzt zur eigenen Recherche ein und ich habe großes Interesse, das Buch zu lesen und zu rezensieren.