Nur oberflächlich ein Kinderbuch

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ichgebäre Avatar

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Bittermonds Bucht habe ich innerhalb eines Wochenendes verschlungen. Für Erwachsene beträgt die Lesedauer ungefähr vier bis fünf Stunden. Kinder werden wohl etwas länger brauchen.

Das Buch besticht schon durch seinen liebevoll und detailliert gestalteten Hardcover-Einband.

Die Geschichte ist erzählt aus der Sicht von Jukka. Um ehrlich zu sein, hat mich das Buch auch deshalb angesprochen, weil die Hauptperson einen finnischen Vornamen hat.

Die Geschichte spielt allerdings nicht in Finnland, sondern an einer tropischen Küste. Es gibt einen Sandstrand mit Palmen, Kokosnüssen und Bananen. Im Laufe des Buches wird deutlich, dass es auch Fantasy-Elemente gibt: (sehr süße Mini-)Drachen, Ermännchen und Erdweibchen sowie Grässgreife kommen vor. Davon abgesehen spielt das Buch in einer vor-industriellen Zeit. Es gibt Segelschiffe und Pferdekutschen statt Autos. Die Sozialstruktur lässt auf das Mittelalter oder die frühe Neuzeit in Europa schließen: Es gibt Städte mit Banken. Fahrende Händler*innen stehen in der sozialen Ordnung weit unten. Ein König regiert das Land mit seinen Fürsten.

In dieser Rahmenhandlung werden die beiden jugendlichen Hauptpersonen zusammengeschmissen, ohne dass sie etwas dafür könnten. Durch die Handlungen der Erwachsenen werden sie (nur halb-freiwillig) auf eine gemeinsame Reise geschickt. Sie bestehen Abenteuer und lernen sich nicht nur gegenseitig immer besser kennen. Sie stellen sich auch die essentiellen Fragen -- wo komme ich her? Was ist mir wichtig? Was will ich eigentlich?

Die Geschichte an sich ist durchaus auch für Erwachsene geeignet. Dass Kinder die Zielgruppe sind, habe ich vor allem immer am Ende der Kapitel oder Absätze gemerkt:

In einem Erwachsenenbuch würde der*die Leser*in wohl mit Andeutungen allein gelassen. Hier, im Kinderbuch, folgt stattdessen eine klar formulierte Schlussfolgerung. Diese sehe ich durchaus positiv. Immerhin müssen Kinder auch erst lernen, Texte so zu lesen, dass sie die Lücken füllen können. Ich sehe die Schlussfolgerungen deshalb nicht als Ersatz für die eigene Verständnisleistung, sondern eher als Lernstandskontrolle. Alle sind auf dem gleichen Standpunkt, und dann geht es weiter.

Einige große Themen werden im Buch angesprochen:
* Zweifel an bis dahin sicher geglaubten Tatsachen
* Shubladendenken ist häufig kontraproduktiv
* Geld kann helfen, ist aber nicht alles
* Streit ist nicht allein Kindern vorbehalten. Auch Erwachsene streiten sich. Wichtig ist die Versöhnung danach.


Kleine Abzüge gebe ich dem Buch, weil die Autorin "wegen" mit dem Dativ benutzt.

Ein großer Pluspunkt dagegen ist für mich, dass sowohl Frauen als auch Männer im Buch positive und negative Rollen einnehmen und dass alle Hauptcharaktere sowohl angenehme als auch störende Eigenschaften haben. Dadurch entsteht eine Lebendigkeit und Tiefe, die dem Buch sehr zugutekommt.

Auch die Beschreibungen von Landschaften oder anderen Personen bestechen durch eine Detailliertheit, die einerseits den Wortschatz der jungen Leser*innen positiv beeinflussen dürfte, andererseits aber auch schlicht eine wunderbare Welt im eigenen Kopf entstehen lässt.

Obwohl am Ende ein paar Fragen offen bleiben, gibt es ein Happy End, das dem Kinderbuch durchaus angemessen ist. Die Auflösung ist allerdings tatsächlich spannend und sollte uns Erwachsenen eine Lehre sein, nicht immer voreilig zu handeln.

Bei so viel Lob fällt das kleine "wegen dem" bei der Endbewertung nicht ins Gewicht. Volle Punktzahl für Bittermonds Bucht.