Blaue Augen

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sissidack Avatar

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 Anfangs fand ich es nicht leicht mich in die Handlung hineinzulesen, u.a. deshalb, da der Schreibstil der Autorin etwas eigenartig ist. Dies ist allerdings der Tatsache geschuldet, dass man ja eigentlich das Blog von „Blauauge“ liest.

 Unschwer erkennbar ist, dass „Blauauge“ kein „normaler Mensch“ ist. Zwar ist er rein äußerlich unauffällig und geht einer geregelten Arbeit nach, aber was er in seinem Blog im Internet verbreitet, ist doch recht unnormal - Gedanken vom Töten. Wörter haben Farben und Gerüche, Nähe und Zuneigung stoßen ihn ab. Was ist bei einem solchen Menschen in der Kindheit schief gegangen? Anfangs erscheint es, als wäre Blauauge sehr behütet aufgewachsen. Seine Mutter hielt alles von ihm fern, nur keine schlechten Dinge an den Jungen heranlassen, was auch immer er tut, alles in gut, böses wird überspielt und beschönigt. Vielleicht liegt hier das Problem… Die Welt ist nunmal nicht nur gut und schön, jeder muss lernen, auch mit schlechten Dingen umzugehen und auch jeder muss lernen, dass jegliches Tun Konsequenzen nach sich zieht. Was wird aus einem Menschen, der eben all dies nicht gelernt hat - ein „Blauauge“ vielleicht.

 Befremdlich, unverständlich, ja krank finde ich es sich auszumahlen, um wie viel besser die Welt ist, wenn ein Mensch getötet wurde. Muss nicht gerade der angeblich so hoch entwickelte Mensch wissen, wie wertvoll jedes einzelne Leben ist?

 Viel zu oft wird in unserem täglichen Leben - so finde ich - bei schwerem Fehlverhalten (sexueller Missbrauch, Mord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit allgemein u. ä.) nach eben diesen Entschuldigungen gesucht. Traumatische Erfahrungen in der Kindheit  werden oft angeführt. Gut, Belastungen dadurch bestehen lebenslang, ab sie sind keine Entschuldigung bzw. ein Freibrief auch anderen ähnliche Erfahrungen beizubringen.

 Das Internet bietet Anonymität; hilft eventuelle durch Gedankenaustausch mit Gleichgesinnten beim Abbau von Aggressionen.  Die große Gefahr besteht aber auch darin, dass durch diese „Seelenverwandten“ Emotionen verstärkt werden. Tagtäglich wartet Blauauge mit Freude auf die Kommentare zum seinem Blog. Wissen die Leser, wer und was wirklich hinter dem Autor des Blogs steht? Wer weiß schon, ob dieser wirklich nur seinen Fantasien Ausdruck verleiht oder reelle Geschehnisse beschreibt? Wie oft kommt es vor, dass ein Gewalttäter mit seinem Tun im Internet prahlt? Ernst genommen wird ein entsprechendes Blog nicht - oder nur in äußerst seltenen Fällen. (Ist das Internet nicht toll? Man kann den Mord an einem Menschen gestehen und trotzdem wird man nicht zur Rechenschaft gezogen! - Schöne neue Welt!)

 Die Autorin hat versucht Emotionen und Beweggründe psychisch instabiler, ja kranker Menschen zu beleuchten, die sich auf einem schmalen Pfad zwischen noch normal, geistig instabil und gefährlich bewegen. Deren Ausbruch zur Gewalt jederzeit erfolgen kann. Auch wenn die Erzählung teilweise befremdlich erscheint, kann man sich jedoch anhand der Schilderungen gut in Personen und Situationen hineinversetzen.

 Abschließend möchte ich sagen, dass der Klappentext, hübsch geschrieben wie der Beginn eines Märchens, so rein gar nichts mit der weiteren Erzählweise und was den Stil als Märchen angeht, aus rein gar nichts mit dem Inhalt der Buches zu tun hat.

 Märchen sollen belehren, sind einfach geschrieben, alles wird am Ende gut. „Blaue Augen“ hingegen verängstigt, macht nachdenklich und macht betroffen. Ein gutes Ende wird es mit „Blauauge“ wohl kaum geben.

 Wer bereit ist, anfängliche Schwierigkeiten, die aus der Schreibweise des Buches als fortlaufender Blog ergeben, hinzunehmen, wer die Zeit aufbringen möchte, sich zunächst einige Seiten lang in die Psyche von „Blauauge“ hineinzulesen bevor man wirklich versteht, um welche Art von Mensch es sich handelt und wer interessiert daran ist, sich in die Gedanken und Beweggründe eines psychisch kranken Menschen hineinzuversetzen, dem kann ich die Lektüre des Buches nur empfehlen. Wer allerdings entsprechende Verhaltensweisen missbilligt und die Abgründe der menschlichen Psyche nicht näher ergründen möchte, dem sei von der Lektüre abgeraten.