Obsessionen eines Mörders

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buecherfan.wit Avatar

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Im Mittelpunkt von Joanne Harris´ neuem Roman steht der 42jährige Mr. Winter, der noch bei seiner Mutter lebt. Er hat eine Blog-Community namens boesebuben gegründet, in der er mal als Ich-Erzähler, mal in der 3. Person seine Fantasien und Obsessionen in täglichen Blogs offenbart, vor allem aber über seine Familiengeschichte und sein Verhältnis zu seiner Mutter schreibt. Er hasst sie und den gutbürgerlichen Mief, in dem sie leben, fühlt sich aber "an sie gekettet, ein Gefangener, ein Sklave". Er denkt viel über das Böse nach, speziell über Mord, und freut sich über den Unfalltod seines verhassten Bruders Nigel, wenn es denn einer wahr. Er hat an sich selbst das Böse im zarten Alter von 4 Jahren wahrgenommen, als er am Strand Meerestiere in seinem Spielzeugeimer sterben ließ. Auch wenn seine Mutter seine Taten immer entschuldigt und als Zufall hingestellt hat, kennt er das Bewusstsein der Schuld. Am Ende der Leseprobe plant er (wieder?) einen Mord. Seine 69jährige Mutter, deren Liebe und Zärtlichkeit er nicht ertragen kann, könnte das (nächste?) Opfer sein.

Mr. Winter alias B.B. für blue-eyed boy  ist das, was im anglo-amerikanischen Raum "unreliable narrator" genannt wird. Man kann ihm nicht so ganz trauen, weiß nicht, was wahr ist und was dem Reich der Fantasie entstammt. Dieser Romananfang ist spannend, hinreichend rätselhaft, um zum Weiterlesen einzuladen, aber der Protagonist bleibt mir doch einigermaßen fremd. Auffällig ist auch die Sprache, die zu seinen finsteren Gedanken passt. Seine düsteren Vergleiche haben eine ausgesprochen negative Konnotation. Sein Hinuntergehen zum Salon des Hauses nennt er "Eintauchen in die Verzeiflung". Es "fühlt sich an wie der Abstieg in den Bauch eines riesigen, übelriechenden sterbenden Tieres,..." Seine Mutter gibt ihm einen Vitamintrank, "und es schmeckt wie ein schlammiges, fauliges Gemisch aus Obst und Fäkalien." Solche Vergleiche sind originell und machen neugierig. Der Leser möchte wissen, warum aus dem über alles geliebten Kind ein dermaßen kaputter Mensch wurde.