Die skandinavische Variante eines guten Espresso

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enricoschaefer Avatar

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Auch wenn sich mir nach wie vor nicht erschließt, warum aus dem Norwegischen „Blod på snø“ in der deutschen Übersetzung der halbenglische Titel „Blood On Snow - Der Auftrag“ wird: dieses schmale Thriller-Bändchen von 187 Seiten hat es wirklich in sich. Es ist die skandinavische Variante eines guten Espresso. Soll heißen, dass sich hier komprimierte Kraft und strukturelle Dichte mit einem wunderbaren Gusto und Esprit auf ein paar schwarz bedruckten Seiten finden, die nicht zum langsamen Genuss stundenlang genippt werden wollen, sondern unverzüglich heiß und mit möglichst wenig Unterbrechungen ihre volle Wirkung entfalten.

Ein Killer, der zu kleineren kriminellen Taten nicht fähig ist oder zu viel Skrupel davor hat, bekommt von seinem Boss den Auftrag, dessen Frau zu "expedieren". Nun verliebt sich der Killer auf den ersten Blick und die Frage steht im Raum: Sie, ich oder der Boss. So die Ausgangslage im neuen Nesbø, der mein erstes Buch von ihm ist. Erzählt wird das ganze aus der Ich-Perspektive eines wenig selbstbewussten Killers, der uns an seinen Reflektionen zum Geschehen, zu sich selbst und seinen Handlungsoptionen teilhaben lässt und damit auch unaufdringlich Fragen zum moralisch richtigen Handeln oder Unterlassen außerhalb gesellschaftlich positiv sanktionierter Lebenswirklichkeit in der Leserin weckt. Ohne mit der Moralkeule auf den Leser einzuprügeln.

Die retardierende Momente der Selbstreflektion des Ich-Erzählers sind durchaus philosophisch, aber nicht überkandidelt, so dass man nie den Eindruck hat, Hauptfigur und Ich-Erzähler seien unstimmig und konstruiert. Nein, er wirkt durchaus lebendig. Wobei einige der anderen Figuren durchaus auf 187 Seiten wenig Raum haben, ein eigenes Leben zu entfalten – und dies gilt nicht nur für diejenigen, die vorher einen genrespezifischen und –notwendigen Tot sterben müssen. In dieser Hinsicht ist der Thriller durchaus modern im Sinne der Fixierung der Weltsicht des erzählenden Individuums auf sich selbst.

Eindrucksvoll die Sprachbilder und der Sog, den die Geschichte gleich auf den ersten Seiten entwickelt – hier hat ein Autor (und sein Übersetzer) sein Instrumentarium voll im Griff. Der Sog und Drive, den ich bei einem Thriller erwarte, gewinnt hierdurch zugleich an Tiefe, ohne zu schleifen, was ich bei einem guten Buch sehr schätze.

Dieser Thriller ist intelligent und gut durchkomponiert, dabei aber nicht ohne Ecken und Kanten. Zu glatt wäre dann auch eher eine amerikanische denn eine skandinavische Variante. Allerdings lässt er trotz des tiefen Schwarz und Rot nichts von der Atmosphäre melancholischer Schwermütigkeit anderer skandinavischer Thriller und Krimis Oberhand gewinnen. Im Gegenteil hat die Geschichte sehr anrührende und durchaus auch komische Bilder zu bieten.

Das Ende ist äußerst phantasievoll, aber nicht kitschig gewendet und gehört sicherlich zu den ganz großen Stärken dieses schönen Buches. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung der Reihe, die ja bereits angekündigt ist. Mal sehen, ob Nesbø dieses Niveau auf der Kurzstrecke wird halten können.