Poetisch, schnell und besonders

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Der norwegische Autor Jo Nesbø, bekannt geworden durch seine Harry Hole-Krimis, hat spätestens durch “Der Sohn” gezeigt, dass ihm die besonderen Thriller mit ungewöhnlicher Perspektive sehr gut liegen. Mit “Blood on Snow – Der Auftrag” bleibt er genau dieser Richtung treu und lässt Harry Hole weiter Urlaub machen. Sein neues Buch ist der Auftakt einer Reihe voneinander unabhängiger, schneller und kurzer Thriller. Mit 196 Seiten ist es schnell gelesen.

Inhalt:
In der Hauptrolle agiert Olav. Er ist Auftragsmörder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche und notorisch schlechtem Gewissen. Wenn er weiß, dass derjenige, den er ermorden soll, es verdient hat, dann ist es aber in Ordnung. Was er nicht kann ist Fluchtwagen fahren (zu auffällig unauffälliger Fahrstil), Raubüberfälle durchführen (schlechtes Gewissen wegen möglichen psychischen Schäden der Bankangestellten) und im Prostitutionsgewerbe für Ordnung sorgen (verabscheut Gewalt gegenüber Frauen). Eines Tages bekommt er einen neuen Auftrag von seinem Chef Daniel Hoffmann. Das Ziel ist Hoffmanns überaus attraktive Frau Corinna. Kaum hat Olav angefangen, sie zu beschatten, ist er auch schon verliebt in sie. Als er dann noch sieht, wie sie von ihrem vermeintlichen Liebhaber geschlagen wird, wirft er alle Pläne über Bord und beginnt ein gefährliches Spiel.

Personen:
Mit Olav ist Jo Nesbø wieder ein ungewöhnlicher Charakter gelungen. Von einem Profikiller mit solchen Gewissensbissen und so einem “zarten Seelchen” liest man nicht oft. Ob Nesbø es ein wenig übertrieben hat, was die niedrige Selbstachtung Olavs angeht, mag jeder selbst abwägen. Olav ist facettenreich, nein mehr noch, er ist in gewisser Weise schizophren. Wenn er es schafft, ein Buch zu lesen, weiß er bald nicht mehr, was der Autor sich erdacht hat und was er selbst sich in seinem Kopf dazu gedichtet hat.
Außer Olav gibt es denn eher unspannenden Gangsterboss Daniel Hoffmann, seinen erbitterten Gegner, genannt “Der Fischer”, die grazile und geheimnisvolle Corinna, sowie die andere Frau in Olavs Leben: die taube und humpelnde Maria, die er aus der Drogen- und Prostitutuinshölle geholt hat. Während Nesbø Daniel und Corinna Hoffmann wenig Besonderes mitgegeben hat, fallen Maria und “Der Fischer” doch recht stark auf und passen so sehr harmonisch zu Olavs ungewöhnlicher Person.

Stil:
Beim Lesen von “Blood on Snow” ist man einem ständigen Wechsel zwischen den beruhigenden Gefühlswelten Olavs und der blutspritzenden Realität seines Lebens ausgesetzt. Kaum wägt man die Hauptpersonen in Sicherheit, kommt das Unglück um die Ecke und zieht sie wieder mit sich in die Tiefe. Das Buch ist dadurch bis zur letzten Seite spannend.
Olavs poetische Ader spiegelt sich auch in Nesbøs Sprache und Ausdrucksweise wieder, denn Olav ist der Erzähler seiner Geschichte. Schon der Auftakt des Buches beschreibt in wohl gewählten Worten einen blutigen Auftragsmord so, als wäre es ein beeindruckendes Naturphänomen, ein Kunstwerk oder ein Gedicht. Nesbø erzählt hier mit “Blood on Snow” nicht nur eine Geschichte, sondern nutzt ganz bewusst, diese tiefgreifende Sprache um Olav lebendig werden zu lassen.

Fazit:
“Blood on Snow” ist zwar ziemlich kurz, erzählt aber auf den recht wenigen Seiten eine gute Geschichte, mit besonderen Personen. Nesbø ist damit wieder ein herausragender Thriller gelungen. Wem “Der Sohn” gefallen hat, wird sicher auch “Blood on Snow” verschlingen. Allerdings sollte man sich bewusst sein, dass neben all dem Blut die Gefühle der Hauptpersonen eine mindestens so tragende Rolle einnehmen. Da die Balance zwischen beidem für mich sehr gelungen ist, würde ich gern 4,5 Sterne vergeben, was ich aber auf 5 Sterne aufrunden muss.