Zu viel von allem

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Nach einer Pause und einigen Ausflügen zu anderen Figuren schickt Jo Nesbø Harry Hole wieder ins Rennen. Er lebt inzwischen „unter der Brücke“ in Los Angeles, säuft und das gern mit Lucille, einer in die Jahre gekommenen Schauspielerin mit Schulden bei einem Drogenkartell. Vermutlich würde er sich so einfach zu Tode saufen, geschähen nicht in Oslo zwei Morde, deren Ermittlungen bei Katrine Bratt liegen: Auf der Yacht eines Immobilienmaklers kommen zwei junge Frauen um und er ist verdächtig, was ihn dazu veranlasst, Harry eine hohe Summe anzubieten, um ihn zu entlasten. Mit dem Ziel, Lucilles Schulden zu begleichen, lässt Harry sich auf die Sache ein und stellt sein ganz eigenes Ermittlerteam zusammen, gegen das sich die Suicide Squad wie eine Krabbelgruppe ausnimmt …

Skandinavische Krimis/Thriller und Nesbøs im Besonderen haben es in sich. Das sollte man immer wissen, wenn man zu ihnen greift. Auch sollte man wissen, dass der Protagonist als Inbegriff des einsamen Wolfes ein ausgewachsenes Alkoholproblem hat (und deshalb hier den einen oder anderen sentimentalen Anfall hat) – inwiefern man da glauben mag, dass Hole immer noch ein brillanter Analytiker ist, lasse ich mal offen. Aber als jemand, der die Reihe oder zumindest große Teile davon verfolgt hat, ist einem das ohnehin egal: Man will wissen, wie es mit diesem (Anti-)Helden weitergeht. Die Truppe, die Harry zu seinen Ermittlungen um sich schart, ist ähnlich kaputt wie er: Da wäre der Psychologe Ståle Aune, mit dem Harry schon in früheren Fällen zusammenarbeitete und nun aus einer Krebsklinik holt, Harrys Jugendfreund Øystein Eikeland (aus der Taxi- in die Drogenbranche gewechselt) und den korrupten und wohl daher freigestellten Polizisten Truls Berntsen. Schon die Figurenkonstellation besagt, dass die Ermittlungen von der eher unkonventionellen Art sind. Gewohnt ist man von Nesbø einen spannenden Plot mit zahlreichen falsch gelegten Fährten, der sich flüssig liest und einiges davon trifft man auch hier an: Flüssig liest sich „Blutmond“ weitgehend (und man könnte die Geschichte ohne Kenntnis der Vorgänger lesen, als Einsteigerband wäre sie jedoch denkbar schlecht geeignet), erst zum Schluss fügen sich die Handlungsstränge zur Auflösung zusammen, sodass eigentlich alle Voraussetzungen für eine spannende Lektüre gegeben sind und doch bleibt da ein schaler Beigeschmack: Es kam mir vor, als versuche Nesbø sich bzw. seine bisherigen Werke in puncto Seitenzahl, Mordbeschreibungen, kantige Charaktere selbst zu überbieten – das war dann in Summe „zu viel von allem“ und zu wenig spezifisch. Das kann er besser … daher werden die 3,5 Sterne abgerundet.