Böses Kind

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svanvithe Avatar

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Der Berliner Kriminalhauptkommissar Henry Frei ist speziell. Es existieren zwei Dinge, die er nicht ausstehen kann: Unpünktlichkeit und Unordnung. An seine Pedanterie muss sich der neue Kollege Charlie erst gewöhnen, wohingegen Kollegin Louisa Albers damit umzugehen weiß.

Seine personifizierte Korrektheit macht Frei keineswegs unsympathisch. Vielmehr zeichnen ihn seine kluge, geradlinige Denkweise aus. Die braucht er auch in seinem Job. Gerade nämlich wurde ein neues Mordopfer gefunden.

Zeitgleich vermisst Suse Pirnatt, eine von ihrem Mann verlassene Mutter dreier Kinder unterschiedlichen Alters ihre älteste Tochter. Die Vierzehnjährige ist ebenso verschwunden wie der Hund der Familie.

Es dauert nicht lange, und die Mordkommission erfährt von dem vermissten Mädchen. Denn bei einem weiteren aufgefundenen Toten befand sich deren Rucksack, so dass alles nach einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Verschwinden und dem grausamen Mord aussieht. Und obwohl Henry Frei und seine Kollegen fieberhaft daran arbeiten, den Fall aufzulösen, scheint ihnen die Zeit davonzulaufen. Und dann geschieht ein weiteres Verbrechen...

„Böses Kind“ von Martin Krist profitiert neben einer ausgeklügelten Geschichte vor allem von seinen Protagonisten und deren persönlichen Hintergründen. Da gibt es einerseits das funktionierende Familienleben von Henry Frei, das auch mit pubertärer (ebenfalls) 14-jähriger Tochter und einem Sohn mit Asperger Syndrom funktioniert. Seine Kollegin Louisa Albers kämpft ständig mit der Müdigkeit, weil sie vor einem halben Jahr Mutter geworden und vor zwei Monaten wieder in den Dienst getreten ist. Seitdem kümmert sich ihr Mann, ein Schriftsteller, um den Sohn, hält aber ständigen Kontakt zu ihr. Frei und Albers sind ein eingespieltes Team, die durch ihre Arbeitsweise, oft in Form von Schlagabtäuschen, Ermittlungen voranbringen. Neuzugang Phan Cha Lee, genannt Charlie, ist der Sohn einer Deutschen und eines Vietnamesen, zeigt sich eifrig und noch ein wenig ungezügelt, jedoch lernfähig.

Im krassen Gegensatz hierzu steht Suse Pirnatt. Sie lebt in der Platte im Berliner Bezirk Spandau, einer von vielen sozialen Brennpunkten der Hauptstadt. Hier bestimmen oft die Sorge ums Geld und damit eingehende innerfamiliäre Notsituationen und weitere daraus resultierende Probleme den Alltag der Menschen, Hoffnungslosigkeit und fehlende Perspektive lassen sie abstumpfen. Vom Berliner Glanz ist hier nichts zu spüren. Suses Mann zahlt keinen Unterhalt, und so muss sie einem ungeliebten Teilzeitjob in einer Drogerie nachgehen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Sie schafft es kaum, den siebenjährigen Dennis und Baby Theo zu versorgen. Als ihre älteste Tochter Jacqueline verschwindet, vermutet sie, dass diese mit Typen abhängt, die nicht nur mit einem Suchtmittel zu tun haben, riskiert aber trotzdem ihren Job, weil sie sich auf die Suche begibt...

Martin Krist gelingt es schnell, seine glaubwürdigen Figuren innerhalb ihres Milieus ins Licht bzw. in den Schatten zu setzen und die Verhältnisses zu beleuchten. Er schreibt mit hohem Spannungsfaktor, und seine Erzählweise ist offensiv, energisch und schonungslos, spart nicht unangenehmer und detaillierter Darstellung. Kurze, knappe, auf den Punkt gebrachte Sätze und wechselnde Perspektiven treiben die gut durchdachte Handlung kontinuierlich voran. Diese erhält durch das Einstreuen der Uhrzeit immer wieder Echtzeitmomente, wirkt niemals konfus oder lässt gar den notwendigen Überblick vermissen. Die unterschiedlichen Sichtweisen bieten vielmehr Raum für eigene Spekulationen und ermöglichen ein Mitfiebern für ein rasantes Ende.

Und das ist es tatsächlich, das Ende kommt zügig und wegen der vielen ungeklärten Fragen einen Tick zu scharf. Der Cliffhanger kann sich allerdings sehen lassen. Wohl dem, der den Nachfolgeband „Stille Schwester“ schon „auf dem Schirm“ hat...

4,5 Sterne