Potential nach oben

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In „Boys! Geschichten für die neue Generation von Jungs“ versucht Francesca Cavallo, traditionelle Geschlechterrollen zu hinterfragen und eine modernere, gleichberechtigtere Sichtweise zu vermitteln. Die Sammlung von zwölf Geschichten zielt darauf ab, Jungen und Mädchen als gleichwertige Partner darzustellen, die gemeinsam Abenteuer bestehen, Herausforderungen meistern und Stereotypen überwinden. Eine spannende Idee, die in einer Welt, die zunehmend Wert auf Gleichberechtigung legt, absolut notwendig ist.

Doch trotz der vielen positiven Ansätze hat das Buch aus meiner Perspektive als Frau und Mutter eines Mädchens seine Schwächen. Die Änderungen in den klassischen Erzählungen kommen oft nicht weit genug, um wirklich eine nachhaltige Veränderung in der Denkweise zu bewirken. Zum Beispiel wird in einer Geschichte zwar die Schwester des Prinzen als klüger und mutiger dargestellt, doch sie bleibt trotzdem auf der Strecke, weil sie nicht die Königin werden darf. Hier bleibt die Frage, warum sie nicht einfach die Rolle der Königin übernehmen kann, offen – und diese Unsicherheit bleibt im gesamten Buch bestehen.

Auch die Darstellung von Beziehungen zwischen den Geschlechtern ist in manchen Fällen fragwürdig. So zeigt eine Geschichte einen Piraten, der ein „Nein“ zu einem Kuss akzeptiert, was grundsätzlich eine positive Botschaft sendet. Doch das Buch geht nicht weit genug, indem es diese Situation als völlig normal darstellt, ohne dass der Pirat sich aufregt oder enttäuscht reagiert. Es sollte nicht als Besonderheit hervorgehoben werden, dass jemand die Wünsche des anderen respektiert – das ist schlichtweg selbstverständlich.

Ein weiterer Punkt, der mir sauer aufstößt, ist die Darstellung von Gruppenzusammenhalt. In einer der Erzählungen werden Mädchen innerhalb einer Gruppe ausgeschlossen, was durch den weiteren Verlauf der Geschichte nicht wirklich hinterfragt oder gelöst wird. Auch das reicht mir nicht aus. Es kann nicht nur darum gehen, dass ein Junge lange Haare trägt und sich einen Zopf flechten lässt, um den Eindruck zu erwecken, dass Stereotype überwunden werden.

Dennoch gibt es auch gelungene Momente, die das Buch zu einem lohnenswerten Leseerlebnis machen. Besonders gut gefällt mir die Geschichte, in der ein Junge ein Kleid trägt, und das als völlig normal dargestellt wird. Diese einfache, aber kraftvolle Darstellung von Kleidung als freier Ausdruck von Persönlichkeit, ohne an Geschlechterrollen gebunden zu sein, ist ein wirklich gelungener Schritt in die richtige Richtung.

Insgesamt lässt sich sagen, dass „Boys!“ ein durchaus gutes Buch ist, um den Dialog über Geschlechterrollen und Gleichberechtigung zu fördern. Doch für meinen Geschmack bleibt es in vielen Bereichen hinter den Erwartungen zurück. Gerade im Hinblick auf die Erziehung von Kindern, die mit diesen Geschichten aufwachsen, erhoffe ich mir von einem solchen Werk mehr Tiefe und eine konsequentere Auseinandersetzung mit den Themen Gleichberechtigung und Selbstbestimmung.