Bretonische Verhältnisse

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hiclaire Avatar

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Eine traumhafte Kulisse, schrullige, gut gezeichnete Charaktere, ein eigenwilliger Ermittler und ein raffinierter (wenn auch nicht neuer) Krimiplot - es ist alles vorhanden, was einen interessanten und unterhaltsamen Roman verspricht.

Trotzdem konnte mich dieses Buch nicht fesseln, Spannung und Lesesog wollten sich einfach nicht einstellen. Es kostete mich einige Mühe, mich auf die Geschichte zu konzentrieren, immer wieder schweiften meine Gedanken beim Lesen in andere Richtungen. Ich versuche die Gründe dafür in Worte zu fassen. Für meinen Geschmack zu viel Lokalkolorit. Wie so häufig bei stark von Lokalkolorit geprägten Krimis nehmen zu umfangreiche, immer wiederkehrende Hintergrundinformationen zu Land und Leuten die Spannung und den Fluss aus der Geschichte. Klar sind diese Informationen wichtig und interessant, auch die wundervolle Atmosphäre der Bretagne darf eindringlich und anschaulich geschildert werden, was dem Autor auch wirklich gut gelingt. Aber irgendwann hat auch der letzte Leser kapiert, dass sich Kommissar Dupin in die Bretagne verliebt hat, seine schwärmerische Begeisterung war bis zum Ende (auf „gefühlt“ jeder Seite) spürbar und für meinen Geschmack einfach zu dick aufgetragen. So mit dem Holzhammer eingetrichtert,  verwandelten sich bei mir Interesse und Neugier irgendwann in Ermüdung und Überdruss.

Dazu kommt, dass ich mich für diesen sperrigen und eigensinnigen Kommissar nicht erwärmen konnte. Er ging mir echt auf die Nerven mit seinen Alleingängen und Befindlichkeiten. Ständig „hatte er genug“, „musste raus“, „konnte nicht mehr“, „war es leid“…, geht nicht ans Telefon, einfach weil er keine Lust und ist absolut nicht teamfähig. Selbst der Leser durfte an seinen Gedankengängen nicht so richtig teilhaben, für mich blieben sie sprunghaft und oft erst im Nachhinein verständlich.

Herausragend war für mich die Ausgestaltung der Charaktere, egal ob man sie nun sympathisch findet oder nicht, einfach super gut gelungen. Auch sprachlich hat es mir gefallen, besonders eine Passage auf S. 27, die aufgeregte Atemlosigkeit von Madame Lajoux` Ausführungen  – genial gemacht! Befremdlich, weil so aus heiterem Himmel und nicht sonderlich passend, fand ich das Einstreuen von seltsamen Fremdworten wie „Stupendes“ S. 121, S. 182 noch einmal „stupend“ und S. 259 „kalmieren“. Gut, die Bedeutung lässt sich ableiten, aber Duden online sagt dazu, dass diese Wörter eher selten und „bildungssprachlich“ benutzt werden.

Dieses Buch und seinen Kommissar halte ich für absolute Geschmackssache, frankophile Leser, insbesondere Fans der Bretagne kommen sicher auf ihre Kosten – es hat auf jeden Fall auch seine Stärken, aber mein Geschmack war`s nicht.