sonne scheint erde dreht sich

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„bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann“, der autobiographische Debutroman von Oliver Lovrenski, erschienen 2025 bei Hanser Berlin, ist das eindrückliche Dokument einer Einwandererjugend auf der Straße und begeistert vor allem formal und sprachlich.

Ein großes Shout-Out zunächst an die Übersetzerin Karoline Hippe, der es einfach genial gelingt, den von Lovrenski perfekt eingefangenen und zugespitzen Slang der Jugendgangs ins Deutsche zu übertragen – was für Meisterleistung.

Lovrenski erzählt von Ivor und Marco, den Brüdern durch Gelegenheit, die in den Straßen Oslos zwischen Drogen, Kriminalität, Gefahr und permanenter Brutalität, aber auch voller Freundschaft, Solidarität und Hoffnung auf ein besseres Leben aufwachsen, immer wieder am Rand der Existenz und doch immer wieder kurz auch fast dabei, das Milieu verlassen zu können. In schnellen, kurzen Clips, ein Buch wie der Swipe auf TikTok, in gedrängter, gehetzter Sprache, die nicht umsonst auf groß und klein verzichtet, oft hart und fast wie eine Fremdsprache, dann immer wieder sehr poetisch und zart, führt uns Lovrenski durch die Jugend einer wild zusammengewürfelten Truppe Heranwachsender, die mit jedem Tag tiefer abrutschen – bis der erste ganz abrutscht und die Unschuld endgültig verloren ist.

Der Beat peitscht durch dieses Buch wie die Wut durch Ivor, Marco, Jonas und all die anderen Mitglieder der Wahlfamilie, die einfach unter den falschen Voraussetzungen geboren wurden und kaum eine Chance haben, sich aus diesen zu befreien. Wir reden viel von Durchlässigkeit – doch der Roman zeigt eindrücklich, dass diese nichts hilft, wenn ein Umfeld nicht mitspielt. „die welt ist ungerecht, stell dir mal vor ein kleines unglück kann so viel scheiße anrichten“ – und vielleicht ist dieses unglück manchmal einfach die geburt. Lovrenski schafft dabei das Kunststück, durchweg so viel Liebe für seine Charaktere durch das Buch scheinen zu lassen, dass es den Lesenden kaum gelingen wird, nicht mit ihnen mitzuleiden, auch wenn diese eigentlich alles tun, um uns das Gegenteil empfinden zu lassen.

Es ist ein schonungslos ehrlicher Roman, der alle Wunden unserer Gesellschaft offenlegt. „sonne scheint erde dreht sich“ – das Leben geht weiter, ob wir es leben wollen oder nicht. Kein Entkommen, keine Gnade. Und zwischen Täter und Opfer manchmal nicht mehr viel Unterschied.

Lovrenski hat dabei in seinem Buch an alles gedacht und schenkt deshalb denen unter uns, die mit lowkey disbattle nicht so vertraut sind, ein Glossar am Ende des Buches. G der Mann. Empfehlung geht raus und nächstes Buch wird dringlich erwartet, sehr spannend, was passieren wird, wenn diese Stimme sich vielleicht einem nicht-autobiographischen Thema widmet. +10.000 Aura Starpotenzial.