Eine Zeitreise

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miss marple 64 Avatar

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Die Autorin führt den Leser zurück in das Jahr 1952. Der idyllische Schwarzwald wird zum Schauplatz mehrerer Verbrechen, mittendrin Bundeskanzler Adenauer und zwei starke, selbstbewusste Frauen.
Der jährliche Erholungsurlaub des Kanzlers im Schwarzwald steht bevor und das Nobelhotel Bühlerhöhe ist mitten in den Vorbereitungen. Pflichtbewusst inspiziert der Sicherheitschef des Kanzlers in Vorfeld das Hotel, überprüft die Umgebung und die Gäste. Die Gefahr ist in dieser Zeit nicht gering, gibt es doch überall im Land Gegenwind für Adenauers Wiedergutmachungsgesetz, das den jüdischen Hinterbliebenen der Opfer des Holocaust einen finanziellen Ausgleich sichern soll. Es gibt Morddrohungen aus allen Richtungen, auch von einer Extremistengruppe aus Israel. Hier kommt die junge Rosa Silbermann ins Spiel, schickt der Mossad sie doch als Agentin zum Schutz des Kanzlers nach Deutschland. Schon bald stellt sie der Auftrag vor Schwierigkeiten, die vorher nicht absehbar waren. Die Wiederbegegnung mit Deutschland und dem Schwarzwald, wo sie als Kind einer jüdischen Familie aus Köln glückliche Stunden verlebte, gestaltet sich als große Herausforderung für Rosa, zumal sie die Frau von Welt spielen muss, wo sie doch bisher nur in ihrem Kibbuz lebte und mit der Waffe in der Hand den neuen Staat Israel verteidigte. Die ihr zugesagte Unterstützung trifft zunächst nicht ein, sodass Rosa erst einmal allein mit ihrem Auftrag ist.
Die Hausdame des Hotels Sophie Reisacher begegnet ihr von Anfang an sehr misstrauisch. Sie selbst, die als junge Frau wegen einer unvorteilhaften Heirat ihre Heimatstadt Straßburg verlassen musste, träumt nun von einem gesellschaftlichen Aufstieg, für den sie alles tun würde. Hier im Hotel trifft sie auch auf den windigen Schweizer Geschäftsmann Pfister, der versucht, auch in der neuen gesellschaftlichen Zeit seine Schäfchen in Trockene zu bringen (in diesem Falle neue Waffengeschäfte). Wird er ihr die Rückkehr in die Elsässer Heimat durch eine Heirat ermöglichen, ihr ein gutbürgerliches Leben sichern ohne den Makel, einen ältere alleinstehende Frau bleiben zu müssen?

Bald nach der lange vorbereiteten Ankunft Adenauers überschlagen sich die Ereignisse und er gerät nicht nur einmal in Gefahr. Außerdem geschieht ein Mord in unmittelbarer Nähe des Kanzlers.

Der Autorin gelingt es in ihrem Roman Elemente eines Krimis mit einer Agentengeschichte sowie einem großartigen Gesellschafts-portrait der damaligen Zeit zu verbinden. Für uns „Spätgeborene“ ist die Lektüre außerdem einen Geschichtsstunde. Es gelingt ihr sehr gut, die Stellung der Frau im Nachkriegsdeutschland zu zeigen, nicht nur mit der Figur der Hausdame, sondern auch mit Agnes, die sich als armes Bauernmädchen im benachbarten Landgasthof mit angebundenem Hotel verdingen muss und schwer an traumatischen Kriegserlebnissen leidet. Die Schilderung ihres Vorstellungs-gespräches macht aus heutiger Sicht sprachlos, musste sie sich doch vor ihrem zukünftigen Chef bis auf die Unterwäsche ausziehen.
Der Roman ist so vielschichtig. Es werden eine Unmenge geschichtlicher Hintergründe aufgenommen, zum Teil nur gestreift, so dass der interessierte Leser immer wieder versucht ist, „quer zu lesen“- sprich Ereignisse und verwendete Begriffe zu recherchieren. Hilfreich dabei ist bereits das Glossar, das die Autorin ihrer Geschichte anhängt. Aber das Buch soll nicht nur als historischer Roman verstanden werden, zumal die geschilderten Ereignisse auch so gar nicht stattfanden. Vielmehr ist es ein Einblick in das Leben zwei ganz unterschiedlicher Frauen, die durch ihre gesellschaftliche Herkunft geprägt wurden, tief in ihrer eigenen Vergangenheit verwurzelt sind und die neue gesellschaftliche Zeit auch als Neubeginn eines eigene,
glücklichen Lebens sehen wollen.