Spannend und gleichzeitig auch lehrreich und berührend

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miltonia 01 Avatar

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Das Buch hat mir sehr gut gefallen, es las sich sehr flüssig, man kommt sehr schnell in die Geschichte hinein und es wird durchaus spannend, wer nun der ominöse 6. Mann bzw. potentielle Attentäter sein wird.
Im letzten Teil kann man dann schon recht sicher vermuten, wer dieser sein wird, aber mein Hauptaugenmerk in diesem Buch liegt auch eher nicht auf dem Krimi-Teil, sondern in der sehr gut beschriebenen Zeitperiode mit all ihren Problemen und Schwierigkeiten.
Ich finde es sehr gut erfasst und beschrieben, wie die einzelnen Menschen so kurz nach dem 2. Weltkrieg versuchen, ihre individuelle Lebenssituation zu meistern.
Einerseits die jüdischen Schwestern Rosa und Rachel, die ganz unterschiedliche Wege finden, sich ein neues und glückliches Leben aufzubauen. Die beiden haben ihre gesamte Familie im Holocaust verloren und während Rosa sich gut in das Leben im Kibuzz einfügt, wird es für Rachel unerträglich. Daneben noch die anderen jüdischen Flüchtlinge, wie Nathan, den es doch wieder unbedingt nach Deutschland zieht oder die Mädchen in Tanger, die mit Rachel in der Bar arbeiten.
Sehr gut gefällt mir auch die Beschreibung der anderen weiblichen Hauptperson Madame Reisacher. Aufgrund ihrer Entscheidung, während des Krieges einen deutschen Offizier zu heiraten, hat sie nach Kriegsende ihre Heimat Straßburg im Elsass verlassen müssen. Und auch danach ist sie auf der Suche nach einem etwas besseren Leben und einem Stück Lebensglück. Und immer wieder setzt sie auf die falschen Personen. Dabei kann ich ihr Streben, aus der Bäckerei der Eltern herauszukommen, gut nachvollziehen. Und viele Möglichkeiten außerhalb einer Heirat gab es ja zu der Zeit nicht für Frauen.
Dann gibt es auf der einen Seite noch die Geschwister Walburg und Agnes, die unverschuldet die Kriegsgräuel am eigenen Leib erleben mussten oder den alten Staatsanwalt, der noch immer an den Kriegstraumata der Schlacht um Stalingrad leidet und sich schämt für das, was den Juden in Deutschland angetan worden ist. Auf der anderen Seite dann die Kriegsgewinnler, die ganz schnell die Vergangenheit abgestreift haben und schon wieder gut im Waffengeschäft mitmischen oder in der Politik wie Herr von Droste. Da ist auch kein Stück Schuldbewusstsein oder Scham zu finden, z. B. von den Unrecht an der Familie Silbermann zu profitieren.
Der ganze Roman gibt einen sehr guten Blick auf diesen Teil der bundesdeutschen Geschichte mit all seinen Problemen und Zwiespälten und auch mein Bild von Kanzler Adenauer hat sich doch durchaus gebessert, ich wusste bislang nicht, dass er sich so deutlich für die Zahlungen an Israel stark gemacht hat.
Dazu liest sich das Buch gut und ich kann es nicht nur Geschichts- sondern auch Krimifans empfehlen.