Düster, depressiv, deprimierend

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
aennie Avatar

Von

Kay Oleander und Silvia Glaser. Zwei Protagonisten, zwei versehrte Menschen in München. Gibt es eine Verbindung zwischen diesen beiden, dem Polizisten und der ehemaligen Apothekerin? Ist Silvia Glaser eventuell sogar die Auslöserin von Oleanders schwerwiegender Verletzung am Rande einer Demo? Kay Oleander ist sich nicht sicher, einiges spricht dafür, anderes dagegen. Die beiden geraten in Kontakt, umschleichen einander, fassen Vertrauen, finden Gefallen und gegenseitigen Halt in ihrer derzeitigen merkwürdig taumelnden Lebensweise. Silvia Glaser gesteht Oleander einen schrecklichen Verdacht, der sich aus ihrem neuen Umfeld ergeben hat und große Auswirkungen haben könnte. Oleander beginnt zu recherchieren und stößt tatsächlich auf die Möglichkeit eines geplanten Anschlags.
Alles ist bei den beiden Protagonisten anders, nach ihren Unfällen, und schnell wird klar, Ani geht es hier nicht um einen Kriminalfall, um eine Ermittlung, nicht mal um die Skizzierung einer extremistischen Gruppierung und schon gar nicht die Darstellung der körperlichen Auswirkungen, die ursächliche physische Versehrtheit von Oleander und Glaser. Es entspinnt sich eine hochinteressante psychologische Betrachtung über Menschen, die den Halt verloren haben im Innen und Außen und nun versuchen ihn wieder zu finden.
Damit ist „Bullauge“ ein typischer Ani. Keine leichte Kost, aber perfekt komponiert, sprachlich ein Hochgenuss und wie immer ein Blick in das tiefste Innere des Menschen. Was bedeutet „Versehrtheit“, was ist da beschädigt worden? Eine Hüfte, ein Auge oder vielleicht doch eher kein greifbares Körperteil und Organ, sondern mehr so das Gefühl, die Sicht auf sich selbst und andere, Wahrnehmung nicht-physisch definiert, dass was das englische „mind“ in diesem Fall viel besser und konkreter beschreibt. Und für den Leser im Grunde genommen mal wieder die Erkenntnis, dass doch eigentlich niemand so ganz unbeschädigt ist. Ob es der Verlust eines Partners ist, durch Tod oder Scheidung, die Belastung eines Berufslebens, Einsamkeit, Orientierungslosigkeit, Angst – alles kann dazu führen, dass der Halt verloren geht, an falschen Stellen gesucht wird, Enttäuschungen und Täuschungen stattfinden.
Fazit: Friedrich Ani ist kein Autor von entspannter Wohlfühl-Lektüre. Aber von hoch spannenden psychologischen Betrachtungen, die immer auch ein bisschen zur Selbstreflexion anregen. Das alles in einem ganz eigenen Stil und sprachlich einfach nur zum Genießen – ich finde es einfach großartig. Und wieder: nur weil Polizisten drin vorkommen, ist es kein Krimi. Wer den erwartet ist vielleicht enttäuscht, aber man bekommt viel mehr, wenn man sich darauf einlässt!