Düsterer Psycho-Roman, anfangs noch schleppend

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REZENSION – Eigentlich geschieht gar nicht so viel in „Bullauge“, dem im September beim Suhrkamp Verlag erschienenen neuen Werk des für seine Romane mehrfach ausgezeichneten Schriftstellers Friedrich Ani (63), der vor allem durch seine Bücher um den pensionierten Polizeibeamten Jakob Franck und Kommissar Tabor Süden bekannt ist. Trotzdem wird man beim Lesen dieses Krimis, der weniger ein Kriminalroman als vielmehr ein bedrückender Psycho-Roman ist, von der für diesen Autor so typisch düsteren Stimmung langsam angezogen, bald berührt und schließlich doch irgendwie gepackt.
Hauptfigur ist der durch einen kürzlichen Unfall aus seinem Leben geworfene, seit seiner Scheidung allein lebende Polizist Kay Oleander in München, der uns seine Geschichte erzählt. Beim Einsatz auf einer Rechtsradikalen-Demo wurde er mit einer Bierflasche im Gesicht getroffen, wodurch er auf einem Auge blind wurde. Vom Polizeidienst vorerst freigestellt, kann er mit sich nichts anfangen und verfällt dem Alkohol. Aus Langeweile versucht er durch unerlaubtes Aktenstudium und heimliches Sichten von Video-Aufzeichnungen herauszufinden, welcher Demonstrant seine Verletzung verschuldet haben könnte. In den Akten ist der Name Silvia Glaser als Teilnehmerin genannt. Oleander sucht sie zuhause auf. Auch sie ist Invalide seit einem Fahrradunfall, ihrer Meinung nach durch einen Streifenwagen verursacht. Glaser, nach dem Unfall am politischen System zweifelnd, hat seitdem Kontakt zu einer rechtspopulistischen Partei, aus deren Fängen sie sich jetzt befreien möchte, aber Schwierigkeiten befürchtet. Sie gesteht Oleander, Andeutungen für ein geplantes Attentat aufgeschnappt zu haben, und bittet ihn um Hilfe. Erst zögert Oleander, vermutet sogar eine Falle, beschließt aber dann doch, dem Verdacht eines möglichen Attentats nachzugehen. Doch wie soll er vorgehen? Von offizieller Seite kann er seit seiner Freistellung nicht auf Unterstützung hoffen. Zum Glück erklärt sich Kollege Gilles bereit, ihm inoffiziell und im Verborgenen zu helfen.
Anis neuer Roman schleppt sich anfangs doch etwas dahin, dass man als Leser schon einiges an Durchhaltevermögen braucht. Doch wer die bisherigen Romane dieses Autors kennt, weiß, dass es sich lohnen kann durchzuhalten. Tatsächlich wird man fast unmerklich von Seite zu Seite tiefer in die betrübliche Lebenssituation sowohl Oleanders als auch Glasers gezogen. Es ist faszinierend, wie Friedrich Ani tief in die Psyche seiner beiden Protagonisten eindringt, in gewisser Weise ihre Seele seziert. Faszinierend ist auch Anis Beschreibung, wie Oleander und Glaser, obwohl anfangs sich gegenseitig stark misstrauend, langsam einander näherkommen in dem Gefühl, verlassen von ihren Mitmenschen nur sich selbst gegenseitig Beistand bieten zu können.
„Bullauge“ ist eine Mischung aus einem düsteren Krimi Noir und einem aktuellen Politthriller, bildet doch die aktuelle Szene aus Rechtspopulisten und Querdenkern den Handlungshintergrund. Anfangs noch schleppend im Handlungsfortschritt, nimmt der Roman leider erst spät an Fahrt auf, um schließlich mit einem überraschenden und rasanten, vielleicht aber doch absehbaren Finale zu enden. „Bullauge“ ist wie alle Bücher Anis ein sprachlich ausgezeichneter, aber leider dramaturgisch sich nur langsam, vielleicht zu langsam aufbauender, spät aber noch fesselnder Psycho-Roman mit aktueller Thematik. Er gehört sicher zu den besseren Romanen im aktuellen Buchmarkt. Doch habe ich durchaus schon Besseres und Spannenderes von Friedrich Ani lesen können.