Ein unausgewogenes Menü

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
fraedherike Avatar

Von

"Wenn ich gute Butter esse, habe ich das Gefühl zu fallen. Ich werde nicht hinaufgewirbelt oder in die Höhe getragen, sondern ich falle. Sacht, wie man in einem Aufzug eine Etage tiefer sinkt. Mein ganzer Körper fällt, von der Zungenspitze an." (S. 34)

Butter (mittelhochdeutsch buter, althochdeutsch butera) ist ein meist aus dem Rahm von Milch hergestelltes Streichfett - und für die Köchin Manako Kajii der höchste aller Genüsse. Doch schon lange ist sie nicht mehr nur für die Rezepte und Restaurantbewertungen auf ihrem Blog "Kajiimama" bekannt: Sie sitzt im Gefängnis. Anklagepunkt: Mord in vier Fällen. Sie soll Männer mit ihren Kochkünsten verführt und anschließend umgebracht haebn. Die junge Journalistin Rika Machida ist fasziniert von den "Verführungsmorden" und beginnt zu recherchieren, denn sie möchte ein Exklusivinterview mit ihr führen - und vielleicht endlich die erste Frau sein, die einen Text in ihrer Zeitung veröffentlicht. Lange bemüht sich um einen Besuchstermin und als Manako schließlich zusagt, ist ihre Freude groß. Aber sie hat eine Bedingung: Sie würden nur über ihre Kochkünste reden. Was Rika nicht ahnt: Mit jeder Aufgabe, die Manako ihr stellt, mit jedem Gericht, dass sie ihr aufträgt, nachzukochen, um sich dessen Geschmack detailliert beschreiben zu lassen, schärfen sich nicht nur ihre Sinne für außergewöhnliche Genüsse, nein, ihr komplettes Arbeitsumfeld und ihr Privatleben, insbesondere die Beziehungen zu ihrer besten Freundin Reiko und ihrem Geliebten Makoto, drohen unter ihrer inneren und äußerlichen Veränderung zu zerbrechen. Und das nur, weil sie dem Zauber Manakos immer mehr erliegt. Kann sie sich von den Fesseln befreien?

Stünde nicht klein "Roman" über dem Titel, könnte man meinen, man halte eine Familienpackung Butter im Retrodesign in der Hand. Und liegt damit gar nicht mal so verkehrt, denn darum geht es in Asako Yuzukis Roman "BUTTER" (OT: バター, Batā, aus dem Japanischen von Ursula Gräfe) allemal: die Butter in all ihren Erscheinungsformen und Bedeutungen, im physischen wie im übertragenen Sinne. Sie ist nicht nur Geschmacksträger, Basis jeglicher kulinarischer Exzesse, sondern steht auch für die wirtschaftliche Situation eines Landes, in der es immer weniger Milchbauern gibt und in Folge dessen zu Lieferengpässen; für Maßlosigkeit und mangelnde Selbstdisziplin; für Wohlstand und Leidenschaftlichkeit.

Eindrücklich beschreibt die Autorin die gegenwärtige Gesellschaftsstruktur Japans, in der das Patriachart im privaten und öffentlichen Raum den Ton angibt. Anhand verschiedenster Situationen, vor allem aber der offensichtlichen Veränderungen Rikas durch ihre neuen Essgewohnheiten sowie ihrer sich sehnlichst ein Kind wünschenden Freundin Reiko deutlich, wie konservativ und oberflächlich die Traditionen und Wertevorstellungen doch noch sind: Es gilt, den Männern den Vortritt zu lassen, der allgemeinen Norm zu entsprechen, dünn zu sein, denn alles andere würde mangelnde Selbstbeherrschung bedeuten. Rika muss schmerzhaft lernen, dass ihr Äußeres Auswirkungen auf ihr Leben und ihre Beziehungen hat. Und: dass sie abhängig geworden ist von Manako, jedem Wort von ihr blind Folge leistete, ohne den Sinn und Zweck zu hinterfragen. Von ihr, die das Bild der konservativen, heimeligen Frau (und Mutter) auskleidet. Denn Rika wollte unbedingt einen eigenen Artikel veröffentlichen, sie wollte herausstechen, denn sie hat den Willen und die naive Chuzpe, dass sie es schaffen kann.

Teilte man den Roman in Vorspeise, Hauptgang und Nachspeise auf, wäre ersteres wohl mein Favorit. Das erste Drittel des Romans gefiel mir unglaublich gut, all die Beschreibungen des Essens, das Zusammenspiel und die Beziehungsgefüge der einzelnen Charaktere, das war wie das Gleiten durch Butter. Doch allmählich merkte ich, dass ich Butter doch eigentlich gar nicht so gerne mag: Das wiederholte Aufkommen von Fatshaming und insbesondere die mit Essstörungen assoziierten Beschreibungen waren grenzwertig, die Passagen wurden immer zäher, irrelevant und verliefen bald ins Abstruse. Ab und an fand ich Abschnitte, die hingegen wirklich gut waren, aber die Butter war da schon von meinem Brot verschwunden. Ich konnte mit den meisten Charakteren nichts mehr anfangen, verlor meine Motivation, ihnen ernsthaft zu folgen und probierte zum Ende hin nur noch hier und da ein bisschen, satt war ich schließlich schon. Der Menüplan war wirklich vielversprechend und beinhaltete durchaus besondere, toll zubereitete Zutaten, aber letztlich fehlte die Ausgewogenheit im Zusammenspiel, hätte hier und da noch einmal der Schneebesen geschwungen, nachgesalzen werden müssen. Aber das Essen hinterlässt allemal einen wohlgemeinten Fettfilm.