Hätten sie nur näher hingesehen!

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rauschleserin54 Avatar

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Das Cover sticht erbarmungslos hervor: Alles scheint mysteriös, selbst der Titel wird noch einmal von einem dunklen Schatten umgeben, als dürfte er nicht einfach allein stehen. Das Haus, die Gegend liegen im Dunst, spärliche Beleuchtung machen alles nur noch geheimnisvoller. Hier wird mehr verhüllt, als preisgegeben. Das macht neugierig.

„Aber sie zögerten den Abschied hinaus, standen da und schauten sich um, als prüften sie, ob alle Dinge an ihrem Platz waren, oder als müssten sie sich einprägen, was sie sahen und wo was stand oder lag, wie das so ist bei den letzten Blicken zurück.“

Nora und Carlotta sind gemeint, sie trödeln, lassen sich Zeit, leben im Jetzt und die Eltern drängeln, wie sie immer drängeln, um einen Ausflug mit einer angekündigten Überraschung zu machen. Das Zitat zeigt, mit welcher Naturgewalt der Autor uns mitzieht in eine Geschichte die erstmal ganz harmlos anfängt, aber genau dieses Stilmittel, die nicht endenwollenden Sätze, die subtilen Ankündigungen, lassen mich sprachlos folgen.

Die Eltern freuen sich auf das kleine Wochenendhaus auf dem Lande, das zur Entspannung und zur Freude der Mädchen angeschafft wurde. Aber schon auf der Fahrt dorthin, beim Tanken, zeigt uns der Autor mit der Begegnung Jakobs und des abweisenden Jungen, das die Angst überall lauert und er zeigt auch, das nicht „Sein kann“ was nicht „Sein darf“:

….warf Nora eine Frage auf, die auch ihnen auf den Lippen lag, die sie aber nicht zu stellen wagten, weil sie die Töchter nicht mit einem Problem verunsichern wollten, das sie nicht lösen konnten...“

Ahnungen, Andeutungen....alles wird ignoriert von dem jungen Elternpaar Lisa und Jakob, alles wird runtergespielt.....bis das Unheil sie erwartet!

Sprachgewaltig führt Eberhard Rathgeb von der ersten Zeile an, durch eine erstmal schlicht scheinende Geschichte. Da will eine Familie einen Ausflug machen, wie viele Familien schon zuvor. Aber hier ist gar nicht schlicht und einfach. Ein Satz führt zu einem Gedanken, zu einer Erinnerung, zu einer Erfahrung, zu einer Weisheit und zurück. Eine Erzählung, wie ein Spaziergang am Meer, dem ich dann meine Sorgen und Nöte überlasse, um zu einer Einsicht, zur inneren Einkehr zu gelangen. Es trägt mich und führt mich weiter.

Dieses Buch läßt erstmal sprachlos zurück. Ich muß erstmal meine Gedanken sortieren. Das Thema ist so nah, so intensiv, könnte sich überall abspielen und macht deshalb so betroffen. Aber es macht auch hellsichtig, hellhörig, neugierig und wachsam. Der Autor weiß wovon er spricht, hier gibt es keine dummen Floskeln, hilflose Erklärungen. Dieser Roman kommt zur richtigen Zeit und bin überwältig von der Intensität und der Bilder, die hier entstehen. Ich kann nur eine klare Leseempfehlung für Leser geben, die gern an der Oberfläche kratzen und es sich nicht immer leichtmachen. Danke Eberhard Rathgeb!