Eine ganz eigene Welt

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Die Welt der Superreichen. Was ist das für eine Welt? In erster Linie eine menschliche, die extrem stark auf die Familie fixiert ist. Das sieht auf den ersten Blick sehr schön aus, denkt der Leser doch an Gemeinschaft, Unterstützung, Familienfeiern und normalen Alltag - mal stressig, mal nicht.
Doch die Bedeutung von Familie in Kwans Roman "Crazy Rich Asians" geht sehr viel weiter. Und der maßlose Überfluss an Geld und allem Skurrilen, was man damit machen kann, bringt viel Überheblichkeit und Gehässigkeit aber auch Druck und Zwänge mit sich.
Der Alltag der Superreichen in Singapur ist angereichert mit Bedürfnissen, bei denen sich der geneigte Leser fragt: Brauchen Menschen das wirklich? Sind es nicht eher Bedürfnisse aus der Not heraus geboren, über das "Normale", "Alltägliche" des Durchschnitts herauszuragen? Einfach auch, weil die Bedürfnisse des Durchschnitts keinen für die Reichen messbaren "Wert" haben?
In dem Buch von Kevin Kwan messen die Protagonisten den ideellen Wert einer Sache an seinem Preis, seinem Label oder einfach an der Tatsache, dass diese Sache machbar ist, egal was sie kostet.
Geld ist nur dazu da, allen Launen sofort nachzugeben, ohne wenn und aber, ohne Zwänge. Die Frage der Notwendigkeit oder eines effektiven Nutzen braucht nicht gestellt zu werden. Da diese Menschen sowieso alles haben, was man zum Leben braucht, besteht eigentlich keine Notwendigkeit, ein achtes Auto zu kaufen. Es wird aber dennoch gekauft, weil Menschen mal etwas Neues haben möchten, keine Lust auf den ewig alten Kram haben.
Vor diesem Hintergrund stellt sich dem Leser die Frage, wie hier Familie und Geld zusammengehören.
Er trifft auf unterschiedliche Charaktere: geldgierige, intrigante Jetset-Girls, die sich auf Labels und verschwenderische Vergnügungen beschränken und mit einer auf Geld begründeten Überheblichkeit daherkommen, die andere in die Knie zwingt.
Er trifft auch solche, die ihren Reichtum als selbstverständlich betrachten, ihr Leben leben, ohne zu protzen und einfach durch ihre Persönlichkeit gern gemocht werden.
Dann gibt es noch die Charaktere, die die Familie über alles heben und deswegen über "Leichen" gehen. Alle die, die nicht mindestens altes Geld sind und schon in der Vergangenheit adlige Verbindungen hatten, zählen nicht und sind deswegen automatisch ihrer unwürdig. Auf dem Menschen selber wird nicht geschaut, nur die Herkunft zählt.
Und dann gibt es noch die, die außerhalb der Familien aufwachsen, oder im Ausland leben und Kontakt zu "normalen" Menschen haben. Sie sind bodenständig, ehrlich, frei von Konventionen und Traditionen. Sie sehen den Menschen und seinen Charakter.
Hat der Leser schließlich die 570 Seiten verschlungen, macht sich Schadenfreude breit. Zurecht, sage ich, denn ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was diese Menschen eigentlich glauben, wer sie sind und welche Rechte sie meinen zu haben, selbstgerecht über andere zu richten.
Sie werden - Gott sei Dank - von den Folgen ihres Tuns eingeholt und damit wird sehr gut deutlich, dass Menschen unabhängig von Geld gut und schlecht sein können; doch unermesslich viel Geld und schlechte Menschen sind eine gefährliche Kombination.
Insgesamt ist der Roman eine wunderschöne Reise durch eine Welt, in der die meisten nicht leben und vielleicht nicht leben wollen, aber es ist doch mal eine Erfahrung wert, hinter die goldene und diamantenbesetzte Fassade zu schauen. Auch dort tun sich Abgründe auf.