Die oberen Zehntausend

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takabayashi Avatar

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New York in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts: Die Protagonistin Pauline Manford - einst aus der Industriestadt Exploit nach New York übergesiedelt - ist eine typische Society-Lady in mittleren Jahren mit Privatsekretärin und einen ausgeklügelten Tagesplan in 15 - 30 - Minuten-Schritten, auf dem sich neben Maniküre- und Friseurterminen, Frauen-Komitees, in denen über die Probleme dieser Welt diskutiert und Rettungsvorschläge ausgearbeitet werden, auch esoterische Übungen und Treffen mit ihrem jeweiligen persönlichen Guru finden. Die Unzulänglichkeiten ihres ersten Mannes, Arthur Wyant, aus altem New Yorker "Adel". nahm sie so lange hin, bis er eine Affäre mit einer verarmten Cousine hatte. Dann ließ sie sich mit Hilfe des renommierten Scheidungsanwalts Dexter Manford von ihm scheiden und heiratete danach den besagten Scheidungsanwalt. Der ist ein viel beschäftigter Mann und der Vater ihrer Tochter Nona, und beide, Vater wie Mutter hatten kaum Zeit für Nona, die jetzt in ihren frühen Zwanzigern ist. Ihr einziger Freund und Vertrauter ist ihr Halbbruder Jim, Paulines Sohn aus erster Ehe. Dann gibt es da noch Lita, seit 2 Jahren Jims Ehefrau und, obwohl aus eher veramten Verhältnissen stammend, ein ziemlich verwöhntes Gör. Jim betet sie an, doch Nona ist beunruhigt: Lita langweilt sich und scheint der Ehe mit Jim überdrüssig geworden zu sein. Sie liebäugelt mit einer Hollywoodkarriere.
Wharton zeichnet in "Dämmerschlaf" ein scharfzüngiges und bitterböses Portrait der damaligen New Yorker Upper Class, deren Leben daraus zu bestehen scheint, der permanenten Langeweile zu entfliehen, indem sie zwischen Parties, Clubs und anderweitigen Vergnügungen hin- und herflattert. Paulines Terminkalender ist zwar immer prall gefüllt, aber ihr Leben ist dennoch leer; sie hat zu keinem Thema einen festen Standpunkt (sehr schön dargestellt anhand einer Rede, die sie vor einem Komitee hält, dass sich mit den Freuden der Mutterschaft beschäftigt; Pauline hat versehentlich ihre Rede gehalten, die sie für das Komitee für Geburtenregelung entworfen hatte - sie erkennt irgendwann ihren Fehler und schafft es noch, das Steuer herumzureißen) und versucht, alle Probleme in ihrem Leben durch Ignorieren zu lösen. Ihr Hauptehrgeiz ist es, zu den erfolgreichsten Gastgeberinnen New Yorks zu gehören. Eins der größten Probleme der erweiterten Familie Manford besteht darin, dass die Familienmitglieder nicht offen miteinander reden. Das ist natürlich ein allgegenwärtiges Manko, nicht nur im New York der 20er Jahre!
Obwohl außerordentlich witzig geschrieben, ist die Langeweile, von der die New Yorker Society beherrscht wird, beim Lesen manchmal auch auf mich übergesprungen. Trotzdem ein sehr lesenswertes und größtenteils unterhaltsames Buch.