Ein Leben voller Selbstbetrug

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Ich habe eine große Vorliebe für die Roaring Twenties. Nach Biografien über Dorothy Parker und F. Scott Fitzgerald bin ich fasziniert von dieser Zeit und ihrem Lebensgefühl. In Edith Whartons Roman spiegelt sich diese Gesellschaft der Langeweile und Unausgefülltseins wieder. Scheinbar wenig scheint zu passieren in diesem Buch, aber im Grunde passiert eine ganze Menge. Dinge, die uns heute kaum der Rede wert sind und niemanden mehr groß Aufregen, waren damals schnell ein Skandal. Pauline füllt ihr Leben pausenlos mit Beschäftigungen aus. Müßiggang ist ihr ein Graus und einfaches Geplauder über Gott und die Welt sind ihr fremd, bei ihr müssen immer wichtige Dinge besprochen werden wie etwa Anschaffungen, Gästelisten, Einladungen. Und immer geht alles im 15 Minuten Takt, denn eine ganze Stunde Zeit am Stück für irgendetwas aufzubringen ist ihr zu viel. So bleibt ihr keine Zeit, sich mit den unangenehmen Dingen des Lebens auseinandersetzten zu müssen oder gar zu sehen, wie es um sie herum wirklich zugeht. Hauptsache, der Schein ist gewahrt und man kommt angenehm durchs Leben, ohne von Problemen, Sorgen oder Krankheiten behelligt zu werden.

Mit ihrem Bestreben, jung zu bleiben, passt Pauline fast in die heutige Zeit. Nichts bleibt unversucht, kein Mittelchen, kein Guru ungenutzt, der ihr Entspannung von ihrem selbst auferlegten hektischen Treiben verspricht. Ihre Schwiegertochter Lita ist das genaue Gegenteil, ein rechtes Flapper-Girl. das gepflegte Langeweile zur Schau trägt und diese nur mit Vergnügungen wie Tanzen verbringen möchte. Sie möchte ihr Leben sorglos verbringen. Pauline und Lita versuchen auf ihre Art, ihrem leeren Leben Sinn zu geben.

Im sehr interessanten Nachwort erklärt die Übersetzerin noch einiges, was zum Verstehen des Buches beitragt. Edith Wharton war zwar 1927 bei Erscheinen des Buches bereits 65 Jahre alt, aber trotzdem war sie eine Zeitgenossin und wußte, wovon sie sprach. Sie beschreibt in ihren Büchern die engen Grenzen, die damals den Frauen gesetzt waren. Für sie saßen sie in der Falle, konnten nur wählen zwischen einer vorteilhaften Heirat oder dem Verstoß aus der Gesellschaft. Ihr selber gelang es, sich freizuschwimmen. Sie ließ sich scheiden und lebte in Frankreich. Dort schrieb sie mit spitzer Feder über die Frauen, die sich weiterhin ihrem Schicksal ergaben und sich damit auch noch wohlfühlten.

"Dämmerschlaf" ist aus heutiger Sicht vielleicht ein wenig sperrig zu lesen und manches schwer nachzuvollziehen.Manche Dinge bleiben auch ungesagt. Ich denke, das selbst Wharton nicht einfach über außerehelichen Sex frei schreiben konnte. Wer aber an dieser Epoche interessiert ist, kann hier gut in die Gedankenwelt dieser Generation eintauchen.