High Society in den 1920er Jahren

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Edith Wharton hat als profunde Kennerin der Szene eine Nahaufnahme über die vermeintlichen Nöte und Sorgen der High Society in den 20 er Jahren des letzten Jahrhunderts geschrieben. Die Zeit zwischen den zwei Weltkriegen, in denen es eben Familien gibt, die oben angekommen sind, meist Wurzeln in Europa haben und in der neuen Welt zu Geld gekommen sind.
Als Beispiel lässt sie uns am Leben der Familie Manford teilhaben: Dexter, das Familienoberhaupt ist Rechtsanwalt in einer gut gehenden Kanzlei, viel außer Haus und am Abend gibt es auch kaum Ruhe: seine Frau Pauline ist on top und organisiert ständig irgendwelche Abendessen im Haus oder sogar kleine Bälle, dann wiederum müssen die Eheleute selbst zu Einladungen gehen. Und das nach einem anstrengenden Tag: Während Dexter arbeitet, muss Pauline den status quo erhalten, also vor allem sich selbst fit halten durch Massagen, Gymnastik, Meditation etc. Dadurch wird auch für sie der Tag stressig. Schließlich ist man auch noch für den Zusammenhalt in der Familie und arme Verwandte verantwortlich, die alle am Reichtum teilhaben wollen...
Einzig die Tochter des Hauses, Nona, sieht hinter die Kulissen und ahnt, dass es darum im Leben nicht gehen kann. Auch ist sie unglücklich verliebt in einen Cousin, Heuston, der wiederum an seiner bigotten Frau Aggie hängt und nicht aus dieser Heirat heraus kann. Dagegen hat es Pauline geschafft, ihrer ersten Ehe ein Ende zu bereiten, da ihr Ex-Mann sie nicht standesgemäß weitergebracht hat...
Sohn Jim wiederum hat eine Frau geheiratet, die eher den Weg nach unten, sprich in den Boulevard sucht: Lita will zum Film nach Hollywood, das starre Korsett ihrer Schwiegermutter mit all den Regeln der New Yorker Society bedeutet ihr wenig..
Eine richtige Handlung hat das Buch nicht, braucht es auch nicht, denn es zeigt vor allem Charaktere und Lebensweisen. Zeitweise fühlte ich mich wie im Film, dem "Großen Gatsby". Doch könnte dieses Buch mit Abstrichen auch heute spielen, so viel hat sich da gar nicht verändert, diese ständige Denkweise, "was denken denn da anderen von uns ?" gibt es doch auch heute.
Sprachlich hat mir das Buch sehr gut gefallen, es gibt viele altmodische Ausdrücke, aber Edith Wharton kann wunderbar beschreiben, ist eine echte Menschenkennerin und schreibt ironisch und humorvoll. Manchmal hat das Buch auch Längen, wenn Beschreibungen zu sehr ausufern, aber dann läuft es auf einmal wieder und man ist wieder drin in der Geschichte. Hilfreich waren für mich die Erläuterungen am Ende, denn ich weiß ja auch nicht alles, wer hat schon so eine Allgemeinbildung, dass er z. B. den "Taylorismus" oder das "Social Register" kennt?Insgesamt kann ich festhalten, dass dieses Buch sicher nichts ist für Leute, die kurze schnelle Handlungen oder gar Spannungsliteratur suchen. Auf dieses Buch und seine Sprache muss man sich einlassen, dann hat man aber auch ein wunderbares Leseerlebnis!