New Yorker Roaring Twenties

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
sago Avatar

Von

„Dämmerschlaf“ ist die Neuauflage eines unbekannteren Romans von Edith Wharton. Obwohl 1927 das erste Mal veröffentlicht, ist die darin scharfzüngig beschriebene New Yorker Upper Class von geradezu erschreckender Aktualität. Die angesprochenen Themen wie positives Denken unter völliger Ausblendung der Realität, Lebenslügen, inhaltslose Leben, die bis zum Exzess mit selbstauferlegten sinnlosen Pflichten angefüllt sind, um vor der inneren Leere davon zu laufen, finden sich auch in der heutigen Gesellschaft wieder. Durch Leben zu gehen, ohne Schmerz zu empfinden, das impliziert der Begriff Dämmerschlaf, eine früher in Deutschland entwickelte Art der Geburtsnarkose, bei der die Frauen schmerzfrei gebären sollten. Ohne Schmerz kann man sich nur sehr an der Oberfläche der Dinge entlang hangeln, und dies hat die Protagonistin Pauline Monford zur wahren Kunstform erhoben. In zweiter Ehe mit einem Anwalt verheiratet, da ihr erster Ehemann ihren gesellschaftlichen Ambitionen nicht standhalten konnte, gelingt es ihr während des gesamten Romans, die Augen vor der sich anbahnenden Katastrophe zu verschließen, während sie sich in Nebenkriegsschauplätze verstrickt. Der Leser ahnt längst, was immer wieder angedeutet wird: Mr. Monford, gefangen in einer Ehe, die nur um den schönen Schein kreist, entwickelt eine Leidenschaft für Lita, die Frau seines Stiefsohnes. Lita ist wohl die unsympathischste Person in diesem Roman, eine junge Frau, die ausschließlich ihrem eigenen Vergnügen lebt, nichts zu schätzen weiß und stets gelangweilt ist. Warum Mr. Monford dennoch für sie entbrennt, trotz der Wertschätzung für seinen Steifsohn und obwohl ihm Lita bisweilen nicht einmal attraktiv erscheint, bleibt etwas rätselhaft. Vielleicht soll es die völlige Ziellosigkeit der Charaktere andeuten. Einzige Sympathieträgerin in dem Buch ist Mrs. Monfords Tochter Nona.
Schließlich kommt es zu einer Affäre zwischen Lita und Mr. Monford, wobei vieles nur angedeutet und der Fantasie des Lesers überlassen bleibt. Das Ganze steigert sich zu einem dramatischen Finale, bei dem zur Aufdeckung der Affäre sogar Schüsse fallen. Bis zu diesem Ende hat mich der Roman wirklich überzeugt, vor allem die schneidend scharfe mitleidlose Charakterisierung der Figuren durch die Autorin, die es wirklich zu schreiben versteht. Vor dem Ende stand ich dann aber wirklich relativ ratlos. Jeder macht weiter, wie bisher, es gibt keine Katharsis, alles geht seinen gewohnten inhaltsleeren Gang, der Dämmerschlaf setzt sich nahtlos fort. Hier hätte ich mir, vor allem von und für Nona, mehr erhofft.