Berührende Geschichte

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sikal Avatar

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Michèle Seld, von allen nur Michka genannt, wird langsam alt. Sie, die ihr Leben lang mit Sprache zu tun hatte, muss nun zusehen, wie ihr einzelne Wörter verloren gehen, wie diese einfach so verschwinden. Michka war ihr Leben lang unabhängig und hat bis ins Alter für sich selbst gesorgt. Doch nun kann sie nicht mehr alleine leben – auch nicht mit der Unterstützung von Marie, einer lieben Freundin, die ihre Jugend und Kraft der alten Dame zur Verfügung stellen möchte. Genauso wie Michka früher für Marie da war und sich um sie kümmerte, wenn deren alleinerziehende Mutter es gerade nicht schaffte, genauso kümmert sich Marie nun um Michka und lässt sie nicht allein, den Weg ins Seniorenwohnheim gehen. Dort fällt es Michka schwer, sich den eingespielten Ritualen anzupassen. Ihr Lichtblick sind die Besuche von Marie und dem Logopäden Jérôme, der mit viel Empathie der alten Dame zuhört und ihr helfen möchte, die Worte einzufangen, bevor diese sich verabschieden.

Doch Michka hat noch einen Wunsch bevor sie bereit ist zu gehen. Sie möchte den Menschen danken, die sie im Zweiten Weltkrieg versteckt haben und ihr so das Leben retteten. Leider weiß sie nur den Vornamen der beiden und so war bis jetzt die Suche nicht erfolgreich.

Die Autorin Delphin de Vigan hat einen wunderbaren Roman geschrieben über das Altern, den Verlust der körperlichen und geistigen Fähigkeiten, über das Abschiednehmen und die Dankbarkeit im Leben. Mit wenigen einfühlsamen Worten beschreibt sie diesen Vorgang und lässt dem Leser viel Raum, um selbst über das ein oder andere „Danke“ nachzudenken.

Durch die Gespräche zwischen Michka und Marie oder Michka und Jérôme bekommt man einen Einblick in deren Leben, in Teile der Vergangenheit, die so manchen Schaden angerichtet haben. Wann ist der Zeitpunkt gekommen, dass man die noch offenen Themen im Leben zu Ende bringen muss? Wann ist es Zeit, dankbar zu sein?

Der Roman ist nicht mal 180 Seiten lang und hat eine solch starke Wirkung, dass er während des Lesens sehr berührt und nicht verloren geht, wenn man das letzte Wort gelesen hat. Ich wünsche dem Buch viele Leser und vergebe gerne 5 Sterne.